Kaum ein Ort in Wien ist kulinarisch so umkämpft wie der Donaukanal. In den letzten Jahren entbrannten Streitigkeiten um die begehrten Gastro-Plätze in Wiens Innenstadt – DER STANDARD berichtete über die Neuausschreibungen. Die Corona-Pandemie verzögerte geplante Um- und Ausbauten. Von den neuen Lokalen hat bisher nur das Taste bei der Salztorbrücke aufgesperrt, seit Samstag hat sich aber ein weiteres dazugesellt: Tel Aviv Beach eröffnete als Neni am Wasser neu. DER STANDARD hat sich das Lokal angeschaut.

Hinter dem Projekt steckt die Gastro-Familie rund um Köchin Haya Molcho. Zwei Jahre Planung hat man reingesteckt, in den letzten vier Monaten wurde dann umgebaut. Erst im vergangenen Jahr hat die Familie Neni im Prater aufgemacht, in den nächsten Wochen soll noch ein Smashed-Burger-Laden in der Praterstraße und das COP, ein "Lokal ohne komplexe Küche", wie es von der Familie heißt, dazukommen.

Restaurant statt Sandstrand – so sieht Neni am Wasser von außen aus.
Foto: Kevin Recher
Holz, erdige Töne und Betonboden sind zentral bei Neni am Wasser.
Foto: Nuriel Molcho

Sommersonne und Winterheizstrahler

Mehr als zwölf Jahre war der Tel Aviv Beach am Donaukanal Anziehungspunkt für Touristen und Outdoor-Schickeria gleichermaßen. Von den wohlbepreisten Drinks, City-Beach-Vibes mit Plastikstühlen im aufgeschütteten Sandstrand ist nicht viel übrig geblieben: Ein großer Teil des Areals wurde zu einem überdachten Restaurant in mediterranem Flair umgebaut. Aloe vera und Kakteen, in Gänsereihen angepflanzt, strukturieren das Interieur, das ganz auf erdige Töne, Echtholztische aus Teak und einen einfachen Betonboden setzt. Jalousien am Dach lassen sich öffnen, um die Sonne reinzulassen. Das braucht es auch wirklich: Die Gäste in der hinteren Reihe sitzen auch bei Schönwetter fast im Dunkeln, die Plätze an der Frontseite zum Kanal hin sind heißbegehrt. Wie die Diskussion zwischen einer Dame mit der Kellnerin während des STANDARD-Besuchs zeigt. Dass die Dame in Markenkleidung und großer Sonnenbrille in der ersten Reihe sitzen will, ist auch verständlich. Hier funktioniert das Sehen und Gesehen-Werden am besten.

Im Winter soll alles dichtgemacht werden: Die Front lässt sich schließen, Heizstrahler und eine Wärmepumpe werden in der kalten Jahreszeit für Wärme sorgen. Klimatechnisch klingt das Konzept hochproblematisch. Dass Neni am Wasser auch im Winter offen hat, war aber Teil der Auflage der Stadt Wien, als die Plätze am Donaukanal neu vergeben wurden. Molcho ärgert das: "Im Winter aufzumachen ist ein Blödsinn. Im Jänner und Februar kommt kein Mensch." Molcho sieht ihr Lokal als falschen Ort, um den Donaukanal im Winter zu beleben, will sich aber eines Besseren belehren lassen.

Gekocht wird in einer offenen Küche. "Ich will meine Köche nicht verstecken", erklärt Chefin Haya Molcho die Idee dahinter.
Foto: Kevin Recher

Hochpreisige Fischliebe

Kulinarisch hat man sich ganz dem Thema Wasser verschrieben, serviert werden hauptsächlich Fisch, Muscheln und Meeresfrüchte. Je nach Saison soll die Speisekarte verändert werden. Ein sardischer Küchenchef sorgt für eine Fusion der mediterranen Sphären von Tel Aviv und Italien. Als Highlight steht ein ganzer Fisch in der Salzkruste auf der Speisekarte, der am Tisch auseinandergenommen und serviert wird. Weiters empfiehlt Molcho Ikra-Rogen nach Art ihrer Großmutter, serviert mit Brioche und Radieschen, oder eine Seppia-Pasta mit reduzierter Hummersuppe, Garnelen und Spargel. Letztere wurde leider etwas zu kalt serviert, geschmacklich sind die Noten aus Tomaten und Hummerbisque fein aufeinander abgestimmt, der Rogen als Garnitur verleiht dem Gericht eine angenehme und nicht überfordernde Fischigkeit. Dass die Pasta auf der eher bissfesten Seite serviert wird, ist Beweis genug, dass ein Italiener hinter dem Herd steht.

Fisch, Muscheln, Meeresfrüchte nehmen das Gros der Speisekarte ein.
Foto: Kevin Recher

Für den kleinen Hunger tischen die Molchos unter anderem zweierlei an Carpaccio auf, einmal vom Thunfisch, einmal vom Rind. Auf einen Neni-Klassiker hat man natürlich nicht verzichtet: Den cremigen Hummus gibt es mit einem flaumigen Fladenbrot, dazu reicht man bei Neni am Wasser ein Minischälchen eingelegtes, knackiges Gemüse – ein wenig Abwechslung muss ja sein. Für den deftigeren Appetit frittiert man Kalamari mit einer eher faden Jalapeño-Aioli, der es an Schärfe und Knoblauch fehlt. Deftig sind auch die Preise: 17 Euro verlangt man für die Portion Meeresfrüchte in Panade. Vorspeisen starten bei sieben Euro (Hummus) und enden bei 18 Euro (Thunfisch-Carpaccio), die Hauptspeisen liegen zwischen 13 Euro für einen griechischen Salat und 34 Euro für den Salzkrustenfisch oder einen Flank Steak. Signature-Cocktails pendeln sich bei 13 Euro ein, und man genießt sie mit Blick auf die Menschen, die draußen am Boden mit ihrem Zwei-Euro-Dosenbier sitzen.

Kalamari fritti und Hummus werden unter anderem als Vorspeise serviert.
Foto: Kevin Recher

Für Donaukanalverhältnisse schockieren die happigen Preise. Man hat fast das Gefühl, das Interieur – gestaltet von Designerin Anna Holzbauer – und die finanziell kritischen Wintermonate bereits mitzubezahlen. Die klassischen Donaukanalsitzer sind ohnehin nicht die Zielgruppe für das neue Neni-Lokal, wie es scheint. Für die hat man eine Outdoorbar für Getränke to go beibehalten, auch den ikonischen Sandstrand zum Füße-Eingraben gibt es noch in kleinerer Version. Demnächst soll es dort auch noch Street-Food-Möglichkeiten geben, eine zugänglichere Preispolitik wäre zu wünschen.

Alter Flair, besseres Essen?

Trotz hoher Preise sei das Lokal seit der Eröffnung am Samstag voll, sagt Molcho. Auch am Montagabend trudelten spätabends Freundesgruppen und Familien ein, bis jeder Platz besetzt war. Designer-Labels konnte man auf fast jedem Tisch identifizieren. Schon der Tel Aviv Beach lockte eine Klientel aus der oberen Schicht an, Neni am Wasser bietet dieser nun ein Restaurant. Dass erdige Lokale und konsumfreie Orte immer mehr der High-End-Gastronomie weichen müssen, raubt dem Donaukanal seinen rohen Charme. Die Angst vor einer "Naschmarktisierung" ist nicht unbegründet. Lokale wie Neni am Wasser sind Teil dieser – für manche problematischen – Entwicklung, Molcho sieht das aber nicht: "Der Flair ist doch da, nur hast du jetzt besseres Essen." (Kevin Recher, 11.5.2022)