Die ursprünglich kanadische und mittlerweile in New Orleans ansässige Band um Win Butler (Mitte) entdeckt auf ihrevm Album "We" alte Säulenheilige wie Pink Floyd, Radiohead oder David Bowie.

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Jeder vernunftbegabte Mensch wird zustimmen: Das Wort "Wir" hat viel Leid über die Welt gebracht. "Du und ich, wir könnten wir sein", heißt es im etwas inhaltsstark betitelten, aber piepsig von Régine Chassagne gesungenen Song Unconditional II (Race and Religion) auf diesem neuen Album namens We von Arcade Fire. "Wir" machen uns die Erde schon seit immer und ewig untertan.

"Wir" brauchen laut Pink Floyd (Another Brick In The Wall) keine Erziehung und schon gar keine Bewusstseinskontrolle. Weg mit den Mauern! Wir schmeißen darüber Plastikflaschen in die Weltmeere, gurken mit Verbrennungsmotoren herum, betreiben Raubbau an Rohstoffen, lassen uns im Winter Spargel aus Peru oder Schaffleisch aus Neuseeland einfliegen. Energie verbraucht man übrigens auch noch zusätzlich beim Streamen.

"Unsubscribe. Fuck Season Five", wird es auf dem neuen Album von Arcade Fire heißen. Bevor es langweilig wird, führen wir dann auch noch Kriege, damit sich jemand daheim Sorgen um uns und vielleicht sogar den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten machen kann. Danke für nichts.

"No time for division / New vision / United body and soul / You and me, could be we." Das neue Album von Arcade Fire trägt also den Titel We in Großbuchstaben und lädt am Ende des besagten Liedes zur Kommunion ein. Die Welt mag zwar schlecht eingerichtet sein. Am Ende bleiben allerdings die Sehnsüchte und der Wille, Schönheit und Erhabenheit zu vermehren.

Gott weiß alles

Die Theologiestudenten Arcade Fire starteten in den Nullerjahren mit Alben wie Funeral oder Neon Bible und später mit dem großen Konzeptalbum zur immerwährend graubraunen Vorstadtjugend namens The Suburbs, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ähnlich beseelt wie bei den katholischeren Kollegen von U2 ging es in dieser manchmal auch sehr stark an erbaulichen und hymnischen Kirchen- und Himmelfahrtsliedern angelehnten Musik um eines: Die Welt ist nicht gut eingerichtet. Weiß Gott.

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"And it’s alright to be sad", wird man Gruppensprecher Win Butler aktuell im tröstenden Duktus eines Landpfarrers singen hören. Er sitzt zu Liedern von Bruce Springsteen in einem steuerschonenden koreanischen Mittelklasse-Dad-Car und fährt auf Reserve in den Sonnenuntergang hinten in der Industriezone von Knittelfeld, Oklahoma. Born to Gleitgeschwindigkeit. Das können Extremdramatiker wie die artverwandten guten Christenmenschen von The Killers allerdings mit diesem herzwürgenden Pathos immer schon besser. Immerhin denken sie den deutschen Schlager mit.

Das neue Album We ist mehr oder weniger in zwei Hälften geteilt. Seite eins (hallo, alte Leute mit Plattenspieler!) ist mittlerweile nach zwei, drei Jahren nicht länger ganz unüberraschend der Isolation verpflichtet und kontemplativ gehalten. Wir sprechen von den Gedanken, die sich Thom Yorke von Radiohead so zum Frühstück macht oder Pink Floyd auf der dunklen Seite des Mondes schaudern lässt: Age of Anxiety II (Rabbit Hole).

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Auf der zweiten Seite schaut dafür Peter Gabriel, der Weltstar im jahrzehntelangen Vorruhestand, mit dem Sledge Hammer in Unconditional II (Race and Religion) kurz vorbei. Warum? Damit er auch dabei ist! Dank auch der piepsigen, an Sandra (I’ll Never Be Maria Magdalena) erinnernden Stimme von Régine Chassagne klingt das Lied wie die rhythmisch forschen Trommel-Workshop-Hits des altvorderen MTV-Superhelden aus den frühen 1980er-Jahren.

Das alles ist nicht schlecht. Vor allem live sind Arcade Fire immer eine sichere Bank, wenn es um emotionale Überwältigung geht. End of the Empire I–III schließlich lässt David Bowies All The Young Dudes aus dem Tank. Gut so. (Christian Schachinger, 10.5.2022)