Im Gastkommentar repliziert der Politologe Anton Pelinka auf den Theologen und Ethiker Kurt Remele.
Es fällt schwer, Kurt Remeles Gastkommentar "Wo sich Feministin und Papst treffen" einzuordnen, ohne in Zynismus oder Resignation zu verfallen. War das historisches Unwissen oder Provokation? War das einfach nur ein Produkt katholischen Wunschdenkens, um dem Papst eine besondere friedenspolitische Autorität zuzuschreiben – oder auch, um der von Gynophobie geplagten katholischen Kirche einen feministischen Anstrich zu verleihen?
In der von Remele wahrgenommenen Allianz zwischen Alice Schwarzer und Papst Franziskus wird die Feministin in direkte Nähe zum Katechismus der katholischen Kirche gerückt – und Schwarzer geradezu des Plagiats bezichtigt: "Der katholische Katechismus-Igel war schon vor Jahrzehnten dort, wo der Emma-Hase seit Ende letzter Woche sitzt." Das hat sich Schwarzer, deren Brief – bestenfalls – als naiv zu bezeichnen ist, nun aber doch nicht verdient.
"Die Kirche rief auch nicht zu gewaltfreiem Widerstand auf."
Zur Erinnerung: Es waren Kampfgruppen der Roten Armee, die Auschwitz, Soldaten der USA, die Buchenwald, und britische Truppen, die Bergen-Belsen befreit haben, in kämpferischer Solidarität mit den Opfern des NS-Regimes. Pius XII. und den deutschen Bischöfen ist bis 1945 kein Wort der Empörung über den Holocaust, dieses erstmalige Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über die Lippen gekommen. Und die Kirche rief auch nicht zu gewaltfreiem Widerstand auf. In vielen deutschen Diözesen ließen Bischöfe nach der französischen Kapitulation im Frühjahr 1940 die Kirchenglocken läuten: "Hurra, wir haben gewonnen."
Appetit auf mehr
Diese Kirche und ihr Katechismus können uns nur zeigen, wie man Frieden nicht bewahren kann, wie man Kriegsursachen nicht wahrzunehmen vermag und wie man Kriege provoziert. Es brauchte die Widerständigkeit und die militärische Kraft der alliierten Regierungen, um einen globalen Triumph Adolf Hitlers zu verhindern – und nicht die Realitätsverweigerung pazifistischer christlicher Kreise. Es brauchte einen Winston Churchill, der begriff, dass die Voraussetzung für sinnvolle Gespräche mit einem Aggressor dessen bedingungsloser Rückzug aus allen eroberten Gebieten ist.
Die Position, die Remele zur gemeinsamen Grundlage von Papst und Emma erklärt, ist die des Neville Chamberlain. Im Herbst 1938 erklärte der britische Premier bei seiner Rückkehr aus München, er hätte mit Hitler "Peace for our time" ausgehandelt. In Wirklichkeit hatte er dem deutschen Diktator nur Appetit auf mehr gemacht – nach der Besetzung des Sudetenlandes folgte der Einmarsch in Prag und dann in Polen. Das, was Remele heute als traute Einigkeit zwischen dem katholischen Katechismus-Igel und der deutschen Feministin sieht, das war 1938 und 1939 die Einladung zu einem Aggressionskrieg. Warum sollte das 2022 anders sein?
"Es ist Zeit, sich der Abschreckungspolitik der Ära Truman und Eisenhower zu erinnern."
Viele der britischen "appeaser" (besser wohl "Hitler-Versteher") – darunter viele christlich motivierte Pazifistinnen und Pazifisten – wollten auch noch nach dem deutschen Kriegsbeginn Polen nicht zu Hilfe kommen, denn dann hätte man doch den Krieg verlängert. Mit den gleichen Argumenten soll die Ukraine daran gehindert werden, sich wirksam zu verteidigen. Nach der ČSR folgte 1939 Polen. Und was folgt 2022? Moldau und Georgien, wo in sezessionistischen Regionen bereits russische Truppen bereitstehen? Oder die baltischen Republiken? Die freilich sind durch ihre Nato-Mitgliedschaft geschützt. Daraus ziehen Finnland und Schweden bereits eine Lehre, der sich Österreich (noch?) verweigert.

Dass Wladimir Putin den Krieg nicht gewinnen darf, liegt nicht nur im Interesse der Ukraine. Ein militärischer Erfolg des russischen Diktators, der sich bereits den Weg in Richtung einer lebenslangen Präsidentschaft geebnet hat, wäre ein Freibrief für weitere Aggressionen. Und von diesen wäre Europa insgesamt betroffen – und damit der Weltfriede. Denn Putin setzt ganz unverhohlen auf die atomare Drohung. Und das darf sich der Westen (USA, EU, Nato) nicht gefallen lassen. Es ist Zeit, sich der Abschreckungspolitik ("containment") der Ära Harry S. Truman und Dwight D. Eisenhower zu erinnern. Weil er glaubhaft Stärke zeigte – in Korea, in den diversen Berlin-Krisen, und schließlich 1962 in Kuba, konnte der Westen verhindern, dass der Kalte Krieg zu einem heißen wurde.
Wehrhafte Demokratie
Die Friedenslogik dieser Politik zu verstehen, dazu sind "Putin-Versteher" im Vatikan und Alt-68er in Deutschland nicht fähig. Eine solche Politik setzt auf eine wehrhafte Demokratie. Für diese standen im 20. Jahrhundert Churchill und Truman – nicht der Papst und auch nicht christliche Pazifistinnen und Pazifisten. (Anton Pelinka, 10.5.2022)