Eine völlig andere Demografie der Geflüchteten bringt auch völlig andere Probleme. Ohne Kinderbetreuungsstelle etwa wird keine Mutter einen Job annehmen (können).

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Etwas mehr als zehn Wochen sind vergangenen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Der Krieg bedeutet für die ukrainische Bevölkerung eine humanitäre Katastrophe, ein kurzer Blick nach Mariupol etwa unterstreicht das. Dementsprechend versuchen viele Menschen, das Kriegsgebiet zu verlassen, und eines ist bereits jetzt klar: Es handelt sich um eine völlig andere Fluchtbewegung als im Jahr 2015.

"Bereits nach drei Wochen waren mehr als drei Millionen Menschen geflohen, im Fall von Syrien hat das mehr als zwei Jahre gedauert", sagt OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig in einem Pressegespräch am Montag. Insgesamt seien bisher knapp sechs Millionen Menschen aus der Ukraine ins Ausland und rund acht Millionen innerhalb des Landes geflüchtet. Erschwerend kommt dazu, dass die drei Hauptziele, Polen, Rumänien, Slowakei, wenig Erfahrung mit Flüchtlingsintegration haben.

Eine derartige Massenbewegung in so kurzer Zeit wirkt sich natürlich auch auf die diversen europäischen Arbeitsmärkte aus. Die Lehren aus der Flüchtlingskrise 2015 helfen in der jetzigen Situation aber nur bedingt weiter. Rückkehrabsichten, Demografie, Bildungsgrad etc. – es gibt zahlreiche Unterschiede bei den Geflüchteten von damals verglichen zu jenen von heute.

Rückkehrabsichten

"Bei den Syrern war klar: Wer einen Aufenthaltstitel bekommt, wird bleiben", so Liebig. "Aktuell wollen sowohl die Geflüchteten zurück in die Ukraine", dort wiederum hoffe man "auf deren Rückkehr für den Wiederaufbau". Doch je länger Menschen weg sind, desto unwahrscheinlicher werde eine Rückkehr. Liebig fordert deswegen Maßnahmen, die die Integration im Gastland fördern, aber auch bei der Wiedereingliederung in der Ukraine helfen. "Wird Erlerntes im Gastland nicht genutzt, kann sich das auch bei der Rückkehr negativ auswirken."

Noch größer sei aber das Problem im Schulbereich – muttersprachlicher Unterricht sei eine sinnvolle Option. Es ist ein schwieriger Spagat für jedes Gastland, wie viele Maßnahmen in diese Richtung man nun setze.

Frauen und Kinder

OECD-Zahlen zufolge machen Kinder knapp die Hälfte der Flüchtlinge aus, und mehr als 80 Prozent der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter sind Frauen. Eine logische Entwicklung, da Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen dürfen. Dementsprechend wird Kinderbetreuung somit aber auch zur Vorbedingung, um überhaupt einen Job anzunehmen.

Hier tut sich bereits ein demografisches Problem auf, wie Petra Draxl vom Arbeitsmarktservice (AMS) Wien erklärt: "Es gibt sehr viele offene Stellen, zahlreiche Firmen würden sofort Menschen aus der Ukraine anstellen." Passende Matches gebe es kaum. Meistens gehe es um IT- oder handwerkliche Jobs, Frauen hätten eher andere Ausbildungen. Erschwerend dazu kommt ein großer Anteil von älteren Menschen und Personen mit physischen und psychischen Erkrankungen.

Gastro und Ernte

Draxl zufolge würden die meisten momentan in der Erntehilfe, der Gastro oder der Hotellerie einsteigen. Dort gibt es einen großen Mitarbeitermangel – und die Einstiegshürden sind nicht übermäßig groß.

Die OECD bestätigt, dass das Bildungsniveau der aktuell Ankommenden höher ist als 2015 – das galt jedoch von Anfang an als sicher. "Laut Selbstauskunft haben rund 20 Prozent im Bildungs- und Gesundheitssektor gearbeitet", heißt es bei der Organisation. Formale Qualifikation sei jedoch nicht alles, da nicht klar sei, ob diese in anderen Ländern anerkannt werden. Deutlich sei auch, dass Qualifikationen bei jenen abnehme, die später geflohen sind.

Sowohl Draxl als auch OECD-Experte Liebig erkennen bei den Ukrainern einen hohen Grad der Eigenständigkeit. "Sie sind gut vernetzt und organisieren sich über Social Media." Bereits vor dem Krieg waren sie weit über den Kontinent verteilt. Laut OECD stellt die Ukraine die drittgrößte Gruppe an ausländischen Staatsbürgern in der EU, nach der Türkei und Marokko.

Ballungsräume als Ziel

Einen Fehler will Draxl deswegen kein zweites Mal (wie 2015) sehen: "Die Menschen dürfen nicht in menschenleere, abgelegene Gebiete gebracht werden, dort bleiben sie nicht. Es braucht gute Integration in und rund um die Ballungsräume." Zudem kann sie sich mehrsprachige Ausbildungen vorstellen. Die ersten Schritte in Ukrainisch und Deutsch in einem weiteren dazu. "Solche oder ähnliche Modelle werden wir brauchen." (Andreas Danzer, 10.5.2022)