Chartstürmer Jack Harlow ist der Internet-Boyfriend der Stunde.

Foto: Urban Wyatt

Eine gewisse Sorte Rap macht vor allem Spaß, weil so viel Behauptung, Übertreibung und Unwahrheit darin stecken. Wenn aber Jack Harlow den ersten Track seines neuen, zweiten Albums "Talk of Town" nennt und von sich behauptet, eben das zu sein, gibt er es nicht nur vor. Harlow hat es sogar zu mehr als nur zum Stadtgespräch gebracht – das Internet und die Charts sind voll von ihm. Spaß macht er trotzdem.

Ein paar Takte der aktuellen Single "First Class", die um ein Sample von Fergies 2006er-Hitsingle "Glamorous" (Millennials zucken aus vor süßer Nostalgie) aufgebaut ist, ging bereits auf Tiktok viral, bevor überhaupt die ganze Nummer veröffentlicht wurde. Als sie dann draußen war, belegte sie sogar in Österreich Platz zwei der Charts.

Jack Harlow

Im Jahr 2020 gelang Harlow mit seiner Single "What's Poppin" der Durchbruch, spätestens seit 2021 kennt man den Lockenkopf aus Kentucky, als Lil Nas X ihn auf seiner Nummer "Industry Baby" featurte. Die Nummer führte Harlow im Gefolge seines Kollegen nicht nur an die Spitze der Billboard Hot 100, sondern auch auf wichtige Bühnen und rote Teppiche.

LilNasXVEVO

Trotz oder auch vielleicht wegen Songtexten, die es vermutlich nicht in den feministischen Lesekreis schaffen würden, wurde der 24-jährige Harlow mit seinen Boyband-tauglichen Bewegungskünsten und seinem Charme, der zwischen Schlingel und Schwiegersohn changiert, zum sogenannten Internet-Boyfriend der Stunde.

Dass Harlow weiß ist, spielte dabei eine Rolle und befeuerte auch seinen steilen Aufstieg im Mainstream. Dessen ist er sich bewusst. "There's a certain responsibility that comes with being a white man in a black genre", sagte er in einem Interview. Auch wenn er persönlich nichts dafür kann, katapultierten ihn strukturell rassistische Marktmechanismen an die Spitze. So woke die Musikindustrie auch tut, lässt sich auch ein "black genre" leichter verkaufen, je weißer seine Interpreten sind, zumindest wenn es um den ganz großen kommerziellen Erfolg geht. Das war bei Eminem am Anfang der 2000er-Jahre so und ist heute nicht anders.

Gestartet aus der Mittelschicht

Während Eminem aber aus dem Trailerpark kam und von Armut und Gewalt erzählte, ist Jack Harlow ein Kind der Mittelschicht und machte daraus auch nie ein Hehl. Im Alter von 15 Jahren veröffentlichte er seine Version von Drakes Superhit "Started from the Bottom" und nannte sie "Started from the Middle". Das ist noch einmal lustiger, wenn man bedenkt, dass Drake eigentlich auch aus der Mittelschicht stammt, aber lieber das Tellerwäscher-zum-Millionär-Narrativ bedient oder zumindest bediente.

That Archive Guy

Man täte Harlow aber unrecht, reduzierte man seinen Erfolg nur auf seine Privilegien – denn die haben viele. Natürlich spielten ihm neuere "Starmacher" wie die Plattform Tiktok in die Hände, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Da hatte Harlow, der im Alter von zwölf Jahren zu rappen begann, schon einige Mixtapes veröffentlicht und in Venues gespielt, die anfangs so gähnend leer waren, wie sich das für das new kid on the block gehört. Er ist also weder "Industry Baby", also ein von der Musikindustrie geschaffener Star, noch "Tiktok Baby". Zumindest nicht ausschließlich. Er hat Zeit und Arbeit in seine Musik gesteckt und sich den Respekt vor einem zuerst organisch wachsenden Publikum erspielt, bevor die Viralität zuschlug.

Dass Harlow, dessen Flow und Texte an den bereits erwähnten Drake erinnern, der neben Pharrell Williams, Lil Wayne und Justin Timberlake auch auf seinem aktuellen Album gastiert, ein talentierter Rapper ist, stellt auch die kritische Kollegenschaft nicht infrage. Auf seinem aktuellen Album "Come Home the Kids Miss You" nutzt er sein Talent zwar nicht unbedingt, um in die Tiefe zu gehen, aber er kleidet die Oberflächlichkeiten in geschniegelte, glanzvolle Reime, die runtergehen wie Öl.

Jack Harlow

Sein sehr guter Geschmack bei Samples und Beats hilft dort aus, wo inhaltlich Hohlwelt herrscht, und macht das Album zu einem, das man gerne in Dauerschleife laufen lässt. Zumindest im Hintergrund beim Grillen im Kleingarten. Mittelschicht-Stuff eben. (Amira Ben Saoud, 10.5.2022)