Inhalte des ballesterer (ballesterer.at) #170 (Mai 2022) – Seit 6. Mai im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (kiosk.at/ballesterer)

Schwerpunkt Nachwuchs

DURCH DEN FLASCHENHALS

Die Stufen auf dem Weg zum Profi

ballesterer.at/2022/05/03/akademikerkinder

ALTERNATIVE AUSBILDUNG

Private Fußballschulen ergänzen den klassischen Karriereweg

Außerdem im neuen ballesterer

BEZIRKSMEISTER

Der FAC will in die Bundesliga

ballesterer.at/2022/05/03/aussenseiterchancen

TRAINER IM UMBRUCH

Ferdinand Feldhofer im Interview

TRAINERIN IM WARTESTAND

Imke Wübbenhorst im Porträt

LINZER DERBY IN SICHT

Die Frauenteams bei Blau-Weiß und LASK

HAMBURGER AUFKLÄRUNG

Rechte Fangewalt im HSV-Museum

ballesterer.at/2022/05/04/farben-der-erinnerung

ROTER JAHRHUNDERTRAINER

Ulli Thomale über seine Zeit beim GAK

MIT DER ADMIRA GEGEN INTER

Johannes Demantke über seine Karriere

ALLE LIEBEN MILLWALL

Impressionen aus Londons Süden

BRÜNNER AUFSTIEGSTRÄUME

Beim Derby zwischen Zbrojovka und Lisen

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Belgien, Deutschland, Ecuador und Italien

ballesterer.at/2022/05/04/ecuador-argentinien

Christian Puchegger und Sibylle Obersteiner haben einiges gemeinsam, beide sind dem Fußball eng verbunden. Puchegger spielte im Unterhaus und betreute später mehrere Vereine, Obersteiner spielte für die Vienna, Landhaus und das Nationalteam. Und beide haben Söhne, die die Fußballliebe teilen: Obersteiners Sohn Yannis steht bei der U12 des SK Rapid im Tor, Patrick und Lukas Puchegger haben die Akademie in Sankt Pölten besucht. Patrick, der ältere, ist heute Profi beim Floridsdorfer AC, Lukas spielt wieder für seinen Heimatverein, den SV Oberndorf, in der Gebietsliga West. Im Gespräch berichten die Elternteile von den Etappen auf dem möglichen Weg zum Profi, von Druck und Motivation und den Tücken und Lücken des Systems.

Christian Puchegger spricht über seine zwei kickenden Söhne.
Foto: Dieter Brasch

ballesterer: Patrick ist 2009 vom Heimatverein direkt in die Akademie gegangen, Lukas war vor seinem Wechsel nach Sankt Pölten im LAZ Mostviertel in Wieselburg. Wie hat Ihr Alltag als Fußballvater ausgeschaut?

Puchegger: Ich habe viele Fahrtdienste gehabt, aber verglichen mit anderen Eltern habe ich leicht reden. Von Oberndorf nach Wieselburg sind es nur zehn Kilometer. Da hat es andere gegeben, die waren eine Stunde unterwegs. Das ist schon eine Belastung, die man auf sich nimmt. Bei uns sind auch noch viele private Einheiten dazugekommen.

ballesterer: Während der Zeit im LAZ hat Lukas weiterhin in der Meisterschaft für den Verein gespielt. Funktioniert diese Struktur?

Puchegger: Die meisten Vereine sind nicht begeistert, weil der Spieler ja öfter beim Training fehlt. Bei uns war das leider eine Katastrophe. Viele Trainer waren negativ eingestellt und haben das die Burschen auch spüren lassen. Einmal ist der Luki völlig aufgelöst nach Hause gekommen, er hat den Coach in einer Situation gefragt: "Trainer, wie soll ich das machen?" Als Antwort ist nur gekommen: "Mach es halt so, wie du es im LAZ machst." Der Bub war damals zehn Jahre alt, so etwas sagt man einfach nicht.

ballesterer: Können Sie verstehen, dass kleinere Vereine klagen, wenn ihnen ihre besten Spieler abhandenkommen?

Puchegger: Das verstehe ich schon, aber wie viele junge Spieler schaffen den Weg vom LAZ in die Akademie und dann weiter zum Profi? Das ist ein ganz geringer Anteil. Und auf die, die es nicht schaffen, muss ich mich als kleiner Verein konzentrieren. Diese Spieler haben eine gute Ausbildung genossen, das ist ja ein Vorteil. Wobei sich Klubs aus höheren Ligen sicher leichter tun als jene aus der zweiten Klasse. Aber auch Oberndorf geht das heute besser an.

ballesterer: Wenn Sie an die Zeit Ihrer Söhne an der Akademie zurückdenken, waren Sie mit den Rahmenbedingungen zufrieden?

Puchegger: Nicht immer, nein. Was ich als schweren Fehler sehe: Es ist damals viel zu viel Wert auf den körperlichen Aspekt gelegt worden. Die Akademie hat Schnelligkeitstests gemacht und anhand derer alles heruntergebrochen. Patrick ist nie der Spritzigste gewesen, aber dann muss ich als Trainer doch sehen, dass er einen guten linken Fuß hat und kicken kann. Am Anfang hat Patrick in der Landesligamannschaft gespielt, nicht im Akademieteam. Und die Landesliga hat niemanden interessiert. Also haben wir privat trainiert, jede freie Minute auf dem Dürrhäusl-Platz in Oberndorf. Was auch sicher nicht optimal war: Zu Patricks Zeit sind pro Jahrgang 30 Spieler aufgenommen worden. Das ist zu viel. Bei Luki waren es dann schon weniger.

ballesterer: Wie hat es Patrick dann geschafft? Für ihn ist es nach der Akademie im Sommer 2013 ja zum FC Bayern München gegangen.

Puchegger: Patrick hat in der U18 einen körperlichen Sprung gemacht und als Sechser alles in Grund und Boden gespielt. Da war die Welt auf einmal anders. Plötzlich hast du einen Berater, plötzlich wollen dich Salzburg und Leipzig. Am Ende ist es dann Bayern geworden. Die Trainer haben gerade noch rechtzeitig auf ihn gesetzt. Bei Lukas war es anders. Er hat keinen Wachstumsschub gehabt, wog mit 18 lediglich 52 Kilo, und sein Betreuer hat kein Händchen für junge Spieler gehabt. Mit einem anderen Trainer hätte er sicher auch seinen Weg gemacht.

ballesterer: Wie geht man als Elternteil mit solchen Situationen um?

Puchegger: Wenn es dein Kind ist, siehst du sowieso immer alles anders als der Trainer. Ob du damit richtig liegst, sei dahingestellt. Natürlich habe ich mit den Burschen nach den Spielen über ihre Leistungen gesprochen. So ein Bub mit zehn, zwölf, der will aber nur kicken, der Rest ist ihm egal. Rundherum wird Druck aufgebaut, er soll gut spielen, er soll weiterkommen und so weiter. Das ist dann die Schuld von uns allen, ein Zehnjähriger muss auch einmal schlecht spielen dürfen.

ballesterer: Haben Sie Ihre Söhne nie gepusht?

Puchegger: Nein, das wäre auch sinnlos gewesen. Es macht ja einen Unterschied, ob der Bub oder der Vater das will. Wenn ich zweimal pro Woche hätte sagen müssen "Komm, fahren wir zum Training", hätte es keinen Sinn gehabt. Dann wäre der Fußball für das Kind nur eine Belastung gewesen.

Sibylle Obersteiner und Sohn Yannis.
Foto: Dieter Brasch

Sibylle Obersteiner spielte schon als Mädchen in Kärnten Fußball, allein, in der Schule, mit ihrem Bruder und gegen Wände. Als sie zum Studium nach Wien zog, hatte sie noch vor der Inskription einen Verein gefunden, die Vienna. Später spielte sie bei USC Landhaus, wurde zweimal Meisterin, dreimal Cupsiegerin und schaffte es ins Nationalteam. Sohn Yannis will in die Fußstapfen der Mutter treten, er steht im Tor der U12 des SK Rapid.

ballesterer: Freut es Sie, dass der Fußball einen so großen Stellenwert im Leben Ihres Sohnes einnimmt?

Obersteiner: Ja. Fußball ist für mich immer noch der coolste Sport. Dass sich Yannis für den Fußball entschieden hat, ist schön, aber ich hätte ihn genauso unterstützt, wenn er eine Leidenschaft für etwas anderes entwickelt hätte.

ballesterer: Kann Ihr Sohn von Ihren Erfahrungen profitieren?

Obersteiner: Wenn ein Tormann einen unnötigen Gegentreffer kassiert, ist das eine besonders schwierige Situation. Da versuche ich schon, ihm mental zu helfen und ihn auch auf anderen Ebenen zu unterstützen. Ich mache ihm auch bewusst, dass das alles harte Arbeit ist und er nichts geschenkt bekommt.

ballesterer: Das klingt sehr herausfordernd. Für Mutter und Kind.

Obersteiner: Besonders mental wird den Kindern schon viel abverlangt. Wenn die Leistung nicht stimmt, kann es passieren, dass man aus dem Kader fliegt. Dazu kommen die hohen Erwartungen der Eltern, von denen sich manche mit Fußball gar nicht auskennen. Die Kinder machen sich selbst ja auch schon genug Druck und sind dann überfordert. Hart arbeiten musst du als Nachwuchsspieler sowieso schon, das bleibt dir eh nicht erspart. Natürlich fiebert man als Elternteil mit und hat seine eigene Meinung. Aber gerade beim Nachwuchsfußball sollten wir uns zurückhalten.

ballesterer: Wie geht der Verein mit solchen Situationen um?

Obersteiner: Rapid ist da sehr streng. Wir haben einmal im Halbjahr einen Elternabend, aber grundsätzlich gilt, dass wir uns in Trainingsbelange und Aufstellung nicht einzumischen haben. Das ziehen sie ziemlich gut durch.

ballesterer: Wie sieht Ihr Alltag als Mutter eines Nachwuchsspielers aus?

Obersteiner: Einfacher, als man denken mag. Yannis besucht eine Kooperationsschule im 14. Bezirk, dort wartet jeden Tag ein Bus auf ihn und die anderen Burschen, der sie zum Training bringt. Die Heimfahrt organisieren wir in Elterngruppen. Im Schnitt hole ich die Burschen einmal pro Woche vom Happel-Stadion ab. Yannis ist zum Glück sehr selbstständig, sonst würde ich das als Alleinerzieherin nicht schaffen. Manche Eltern fahren jeden Tag aus Wiener Neustadt und Neusiedl zum Training, die können zwischendurch nicht heim, sondern maximal einkaufen gehen, einen Kaffee trinken und im Prater joggen. Ich weiß nicht, ob ich das packen würde.

ballesterer: Wie gestaltet sich die Trainingswoche von Yannis?

Obersteiner: Er hat viermal normales Training, dazu noch drei Tormanneinheiten und am Wochenende ein Spiel.

ballesterer: Ein straffes Programm.

Obersteiner: Das schon, aber die Trainer achten darauf, dass es für die Kinder nicht zu viel wird. Yannis war zum Beispiel vor Kurzem verletzt. Aber es hat nie den Druck gegeben, dass er so schnell wie möglich wieder anfangen muss. Es hat immer geheißen: "Kurier dich aus. Wenn der Physio sagt, es ist noch zu früh, dann ist es noch zu früh." Aus meiner aktiven Zeit kenne ich das leider anders, ich habe viel zu oft viel zu bald wieder begonnen.

ballesterer: Wie lässt sich der große Trainingsaufwand mit dem Leben eines Zwölfjährigen vereinbaren?

Obersteiner: Bisher waren seine Prioritäten klar. Wenn er auf eine Geburtstagsparty eingeladen war, hat er gemeint: "Nein, den sehe ich eh in der Schule, ich gehe lieber zum Match." Seit er viermal pro Woche mit der Mannschaft trainiert, sagt er öfter: "Boah, ich habe keine Zeit, etwas anderes zu machen." Und manchmal spüre ich schon einen kleinen Schmerz. Es ist aber nicht so, dass wir sonst nichts unternehmen. Wir gehen ab und zu ins Theater, im Vorjahr hat er Tennis gespielt, heuer will er Basketball ausprobieren. Er ist auch oft im Skaterpark. Mir ist wichtig, dass er neben dem Fußball auch andere Bewegung macht. Grundsätzlich geht Rapid mit dem Spannungsverhältnis zwischen Training und Privatleben aber sehr gut um.

ballesterer: Inwiefern?

Obersteiner: Wir waren zu Ostern nicht da, haben zwei Trainings versäumt. Die Trainer haben darauf sehr entspannt reagiert. Dass wirklich einmal ein anderer Termin wichtiger ist und Yannis nicht kommen kann, passiert eh selten. Wenn doch, sind sie aber verständnisvoll.

ballesterer: Das klingt, als wäre das nicht überall der Fall.

Obersteiner: Das ist es leider nicht. Ich kenne andere Vereine, da würde das Kind am Wochenende nicht spielen, wenn es ein Training versäumt hat. Bei Rapid ist das Verständnis da, dass die Burschen viel leisten und dann einmal das eine oder andere Training ausgelassen werden kann.

ballesterer: Ist eine Profikarriere planbar?

Obersteiner: Nein. Du kannst das Kind ja nicht zwingen. Im Endeffekt muss es selbst entscheiden, was es will und wie viel es investieren möchte. Du kannst es dir als Elternteil noch so sehr wünschen – aber zu viel Druck, das würde nicht gutgehen. (Armin Grasberger, 10.5.2022)