Die Rechtsanwälte Katharina Müller und Martin Melzer erklären im Gastblog, was man im Erbrecht wissen sollte, um Konflikte zu vermeiden.

Zu Lebzeiten gemachte Schenkungen reduzieren das Vermögen, das später vererbt wird. Man könnte versucht sein zu meinen, damit seien pflichtteilsrechtliche Auseinandersetzungen nach Ableben des Geschenkgebers ausgeschlossen. Dem ist aber nicht so. Es ist zwar zulässig, dass man zu Lebzeiten frei über sein Vermögen verfügt. Erbrechtlich ist diese Verfügungsmacht allerdings insoweit beschränkt, als das Pflichtteilsrecht auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist. Dieses sichert Kindern und Ehegatten des Verstorbenen eine Mindestquote am Vermögen des Erblassers. Damit der Pflichtteil eben nicht durch lebzeitige Schenkungen ausgehöhlt wird, regelt die sogenannte Schenkungsanrechnung, wann und in welcher Höhe solche Schenkungen erbrechtlich zu berücksichtigen sind:

Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung

Eine grundsätzliche Unterscheidung erfolgt hierbei bereits hinsichtlich des Kreises der beschenkten Personen. Zu differenzieren ist zwischen Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte und Schenkungen an Dritte.

Worauf ist bei Schenkungen im Hinblick auf das Erbe zu achten?
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Schenkungen an Dritte sind nur dann erbrechtlich zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb einer Zweijahresfrist vor dem Tod des Verstorbenen gemacht wurden. Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte sind hingegen unbefristet zu berücksichtigen. Das heißt, dass auch Schenkungen, die der Verstorbene zwanzig oder dreißig Jahre vor seinem Tod an Kinder oder Ehegatten gemacht hat, hinzu- und angerechnet werden können. Schenkungen an Lebensgefährten sind hingegen nach zwei Jahren bei Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen nicht mehr einzubeziehen.

Die Hinzu- und Anrechnung nach dem Ableben des Geschenkgebers funktioniert wie folgt:

  • Zunächst ist der Wert der gemachten Schenkung der Verlassenschaft rechnerisch hinzuzurechnen.
  • Ist der Beschenkte zugleich pflichtteilsberechtigt, hat er sich die Schenkung anrechnen zu lassen. Der Wert der Schenkung ist daher von seiner Quote wieder abzuziehen.

Ein Beispiel zur Illustration

Der Nachlass nach der verstorbenen Mutter hat einen Wert von 100.000 Euro. Der Ehegatte ist vorverstorben, weshalb die zwei Kinder aufgrund der Pflichtteilsquote von je ein Viertel einen Anspruch in der Höhe von jeweils 25.000 Euro haben. Hat die Mutter ihrer pflichtteilsberechtigten Tochter zwanzig Jahre vor ihrem Tod den Familienbetrieb (Wert: 200.000 Euro) übergeben, ist dieser Wert der Verlassenschaft hinzuzurechnen. Von der so erhöhten Verlassenschaft (300.000 Euro) beträgt der Pflichtteil nun jeweils 75.000 Euro. Die Tochter muss sich die erhaltene Schenkung anrechnen lassen. Da der Wert der Schenkung (200.000 Euro) den erhöhten Pflichtteil (75.000 Euro) weit übersteigt, hat die Tochter gegen die Verlassenschaft keinen Anspruch mehr. Der Sohn, der zu Lebzeiten nichts erhalten, hat einen Anspruch auf 75.000 Euro.

Ist der erhöhte Pflichtteil nicht durch die Verlassenschaft gedeckt, etwa weil die Schenkung 500.000 Euro wert ist, kann der Pflichtteilsberechtigte diese Differenz vom Beschenkten fordern. Unter Umständen eine Überraschung für die vor vielen Jahren beschenkte Tochter, die in diesem Fall zum Wertausgleich durch Zahlung an den Bruder verpflichtet ist. Konflikte ergeben sich hier vor allem im Zusammenhang mit der Bewertung von Schenkungen.

Bewertung der Schenkung

Schenkungen erfolgen mitunter viele Jahre vor dem Tod des Verstorbenen. Es stellt sich daher die Frage, wie der Schenkungsgegenstand zu bewerten ist und vor allem zu welchem Zeitpunkt. Wenn es sich um Liegenschaften oder Betriebe handelt, hat der Beschenkte nach Schenkung vielleicht erhebliche Investitionen vorgenommen. Zu großen Ungerechtigkeiten würde es führen, wenn der Gegenstand erst im Zeitpunkt des Todes, inklusive aller werterhöhenden Investitionen, zu bewerten wäre und dieser Wert der Verlassenschaft hinzugerechnet würde. In unserem gewählten Beispiel würde der Sohn von den Investitionen der Tochter mitprofitieren.

So funktioniert das Bewertungssystem freilich nicht. Zu bewerten ist das Einfamilienhaus, der Betrieb, kurz: die geschenkte Sache zum Zeitpunkt der Schenkung. Dieser Wert ist dann mittels Verbraucherpreisindex (VPI) auf den Todeszeitpunkt hochzurechnen. Ist der Betrieb zum Zeitpunkt der Übergabe 2002 mit lediglich 200.000 Euro zu bewerten und ist dieser Betrieb zum Todeszeitpunkt im Jahr 2022 aufgrund des wirtschaftlichen Geschicks 1.000.000 Euro wert, ist dies für die Hinzurechnung irrelevant. Die 200.000 Euro sind mittels der Veränderungsrate des VPI hochzurechnen, die in den letzten 20 Jahren rund 47 Prozent beträgt. Pflichtteilsrechtlich zu berücksichtigen sind also nur 294.000 Euro. Gleiches gilt aber auch im Fall, dass der Betrieb zum Todeszeitpunkt tatsächlich einen geringeren Wert aufweist.

Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, die Indexanpassung einheitlich für alle Schenkungsgegenstände vorzunehmen. Dies dient zwar der Einfachheit, allerdings kann es zu erheblichen Ungerechtigkeiten kommen. So ist der Wert von Immobilienvermögen in den letzten zehn Jahren in der Regel höher gestiegen als der VPI. Umgekehrt hatte man Mühe, bei der Veranlagung von Kapitalvermögen mittels sicheren Investments überhaupt mit dem VPI Schritt zu halten.

Empfehlung

Damit es im Zusammenhang mit Schenkungen nicht zu erbrechtlichen Auseinandersetzungen kommt, muss man sich zunächst darüber bewusst sein, dass Schenkungen bei der Ermittlung der Pflichtteile berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, den Wert der Schenkung zum Schenkungszeitpunkt zu dokumentieren, um Streitigkeiten über die Bewertung zu vermeiden. Werden größere Vermögenswerte verschenkt, bietet es sich in manchen Fällen an, die Pflichtteilsberechtigten über Vermögensrechte an der Schenkung zu "beteiligen".

Eine andere Möglichkeit, Streit zu vermeiden, besteht drin, von den anderen Pflichtteilsberechtigten Verzichtserklärungen einzuholen, wonach diese auf die Einbeziehung der geschenkten Werte in die Bemessungsgrundlage ihres Pflichtteils verzichten. Dies wird in der Regel nur dann möglich sein, wenn im Rahmen eines Gesamtkonzepts Ausgleich geschaffen wird. Das kann etwa durch die Einräumung eines Fruchtgenussrechts oder Schenkungen anderer Vermögenswerte erfolgen. Generell sollten größere Schenkungen nicht ohne Berücksichtigung der pflichtteilsrechtlichen Konsequenzen gemacht werden und erfordern daher sorgfältige Prüfung erbrechtlicher Fragestellungen. Angesichts der Bedeutung des Pflichtteils im österreichischen Erbrecht überrascht es, dass diese Problematik vielen Geschenkgebern, aber auch den Geschenknehmern nicht bewusst ist, sodass böse Überraschungen nach dem Tod des Geschenkgebers vorprogrammiert sind. (Katharina Müller, Martin Melzer, 13.5.2022)