In einem Moskauer Büroturm leuchten Fenster in Form eines Z – des Symbols des russischen Überfalls auf die Ukraine.

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Acht Oligarchen sind – nach Zählung westlicher, aber auch unabhängiger russischer Medien – innerhalb weniger Monate eines nicht natürlichen Todes gestorben. Bei allen handelt es sich um reiche und einflussreiche Männer, alle haben eine wichtige Rolle in den Kreisen um den russischen Präsidenten Wladimir Putin gespielt.

Der aktuellste Todesfall wurde erst am vergangenen Montag bekannt: Der Ölmagnat Alexander Subbotin soll gestorben sein, nachdem er sich angeblich in die Hände von Schamanen begeben hatte. Diese sollten laut russischen Medienberichten seine Alkoholsucht behandeln: unter anderem mit Krötengift und Hahnenblut. Nach der zweiten Behandlungsrunde sei es bei Subbotin offenbar zu "Herzproblemen" gekommen. Die Polizei untersucht den Tod des ehemaligen Lukoil-Vorstandsmitglieds.

Aufgrund der mysteriösen Umstände der Todesfälle seit Jahresbeginn spekulieren Medien und Fachleute, dass die offiziell als Suizid eingestuften Vorfälle bloß eine Tarnung für eine Säuberungsaktion des Kreml sein könnte. Putin selbst soll hinter mutmaßlichen Morden stecken, heißt es.

Prinzipiell ist die russische Führung dafür bekannt, nicht zimperlich mit Kritikern und Kritikerinnen umzugehen. Die wohl aufsehenerregendsten Fälle der vergangenen Jahre waren die Giftanschläge auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny 2020 und den Ex-Agenten des russischen Militärgeheimdiensts Sergej Skripal 2018 mit Nowitschok.

Die beiden Männer überlebten die Attacken, doch Ex-Sicherheitsoffizier Alexander Litwinenko starb 2006 an den Folgen eines Angriffs mit radioaktivem Polonium.

Die polnische Denkfabrik Warsaw Institute sieht in einer ersten Analyse vor allem das Erscheinen von Sicherheitsleuten des russischen Gaskonzerns Gazprom an Tatorten als Hinweis dafür, dass hochrangige Kreml-Mitarbeiter versuchen könnten, etwas zu vertuschen.

Leonid Schulman

Ende Jänner – also ungefähr einen Monat vor dem Beginn der von Russland zynisch so bezeichneten "Spezialoperation" in der Ukraine – wurde der leblose Körper des Leiters der Logistikabteilung bei Gazprom Invest gefunden. Der 60-Jährige soll sich in seinem Badezimmer im Ort Leninskoje selbst getötet haben. Ein Abschiedsbrief soll gefunden worden sein – so die offizielle Version. Bereits im Vorjahr hatte die Sicherheitsabteilung des Gaskonzerns gegen Schulman ermittelt, nachdem Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit der Aufrüstung der Transportflotte laut geworden waren.

Alexander Tjuljakow

Ebenfalls in Leninskoje wurde am 25. Februar Tjuljakows Leiche entdeckt. Der 61-jährige Vizegeneraldirektor der Finanzabteilung von Gazprom, des Unified Settlement Center, soll sich in seiner Garage suizidiert haben. Doch die Zeitung Nowaja Gaseta wirft Fragen zu der Selbstmordtheorie auf: Am Vorabend soll der Manager verprügelt worden sein. Außerdem riegelten Sicherheitsleute von Gazprom das Haus ab. Auch manche Polizisten mussten laut Artikel hinter der Sperre warten.

Mikhail Watford

Der im ukrainischen Teil der Sowjetunion geborene Geschäftsmann wurde Anfang März tot in seinem Haus westlich von London entdeckt. Die Polizei von Surrey untersucht die Umstände des Todes des 66-Jährigen. Watford – der seinen ursprünglichen Nachnamen Tolstoscheja bei seinem Umzug nach Großbritannien "englischer" machte – verdiente laut Medienberichten sein Vermögen durch Öl- und Gasgeschäfte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

In dem Ort Virginia Water, in dem sich die Villa von Watford befindet, hat sich auch der Oligarch Petr Aven ein Millionenanwesen gekauft. Aven steht seit den ersten EU-Maßnahmen gegen Russland auf der Sanktionsliste.

Wasiliy Melnikow

Am 24. März berichtete die russische Zeitung Kommersant vom Tod des Milliardärs Wasiliy Melnikow. Die Leiche des Leiters des medizinischen Großunternehmens Medstom wurde gemeinsam mit denen seiner Frau Galina und seiner beiden Söhne in der Familienwohnung in Nischni Nowgorod gefunden. Alle Toten wiesen Stichverletzungen auf. Die Tatwaffen wurden vor Ort gefunden, hieß es.

Laut Ermittlern soll Melnikow zuerst seine Familie und dann sich selbst getötet haben, doch Nachbarn äußern in dem Kommersant-Artikel Zweifel an dieser Theorie.

Laut dem Bericht eines ukrainischen Medienportals litt Medstom unter den Konsequenzen der westlichen Sanktionen.

Wladislaw Awajew

Mitte April fand die Polizei den leblosen Körper des Multimillionärs Wladislaw Awajew in seiner Moskauer Wohnung – daneben auch die Leiche seiner Frau sowie seiner 13-jährigen Tochter. Wie im Fall Melnikow kamen die Ermittler zu dem Schluss, dass Awajew seine Familie und anschließend sich selbst getötet habe. Diesmal ist die Tatwaffe aber eine Handfeuerwaffe.

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass hielt der Oligarch die Pistole noch in seiner Hand. Awajew war Vizepräsident der Gazprombank, die vor allem im Zusammenhang mit den ausländischen Zahlungen für russische Öl- und Gaslieferungen ins Ausland in den Fokus der Berichterstattung gerückt war.

Sergej Protosenja

Nur 24 Stunden später informierte Fedor Protosenja die spanische Polizei, dass er seine Familie in ihrem Urlaubsdomizil in Lloret de Mar an der Costa Brava nicht mehr erreiche. Als die Beamten das Haus aufsuchten, fanden sie die Leichen des Millionärs Sergej Protosenja, seiner Frau und der 18-jährigen Tochter. Auf den ersten Blick wirkt es für die Ermittler wie Mord und Selbstmord, doch auch hier wurden Zweifel an der Theorie laut. Sohn Fedor sagte in einem Interview mit der britischen Daily Mail: "Mein Vater ist kein Mörder." Der 55-Jährige war Vizepräsident des Gasriesen Nowatek, bevor er sich mit einigen Hundert Millionen Euro zur Ruhe setzte. In einer Aussendung zweifelte das Unternehmen ebenfalls das Mord- und Selbstmordszenario an.

Andrej Krukowski

Am 1. Mai stürzte der Direktor des Skiresorts Krasnaja Poljana in der Nähe des Olympiaorts Sotschi in den Tod. Der 37-Jährige soll beim Wandern von einem Felsvorsprung gefallen sein. Das Skigebiet war vor allem bei Präsident Wladimir Putin und seinen Vertrauten beliebt. Der Kreml-Chef lud immer wieder Gäste dorthin ein. (Bianca Blei, 11.5.2022)