Ohne nationalistisch-militärisches Brimborium und Drohgebärden gehen die Feierlichkeiten zum 9. Mai in Moskau unter Wladimir Putin natürlich nicht über die Bühne. Aber es wurde auch nicht die Hardcore-Kriegsversion serviert, mit der viele gerechnet hatten. Vor allem nicht in Putins Rede: Das Hauptthema des Präsidenten waren diesmal nicht historische Ansprüche und die Restauration eines russischen Reichs, sondern der aufgezwungene Krieg.

Wladimir Putin am Tag des Sieges in Moskau.
Foto: IMAGO/SNA

Das ist nicht nur eine Botschaft nach innen, wo immer mehr Familien davon überzeugt werden müssen, dass ihr Sohn, Vater, Bruder nicht für eigene absurde Ideologien sterben musste, sondern bei der Selbstverteidigung. Aber Putin richtet sich auch an jene Staaten, die sich im Ukraine-Krieg nicht klar auf die Seite "des Westens" gestellt haben. Bei vielen von ihnen greift die russische Erzählung über die Nato-Expansionsgelüste und die imperialistischen Pläne der USA sehr gut.

Aber auch Staaten, die historisch nicht antiwestlich sind, sollen in puncto russische Rationalität beruhigt werden. So erklärt sich auch, dass sich Putin bei der israelischen Regierung für die antisemitischen Ausfälle seines Außenministers Sergej Lawrow entschuldigt hat. Auch das galt nicht nur Israel, sondern der Welt. Lawrow hat einen PR-Fehler begangen, der korrigiert werden musste. Und auch neue Eskalationsankündigungen an dem Tag, an dem sich Russland für seinen Sieg gegen die Nazis feiern lässt, hätten der Agenda Putins geschadet. (Gudrun Harrer, 10.5.2022)