Leere Landschaften, irrationale Illusionen: Giorgio de Chirico verstand sich als "Herr der Träume". Seine Frühwerke galten als surrealistische Vorbilder. 1928 kam es zum Bruch mit der Bewegung.
Foto: Bildrecht, Wien 2022

Erst Anfang des Jahres öffnete im Unteren Belvedere die Ausstellung Dalí – Freud. Eine Obsession, die sich mit der Faszination des spanischen Malers für den Wiener Vater der Psychoanalyse befasste. Auch in internationalen Kunstschauen kann gerade ein Wiederaufleben des Surrealismus beobachtet werden. Als Paradebeispiel gilt die Hauptschau der Biennale in Venedig, die – mit dem von Leonora Carringtons Kinderbuch entlehnten Titel The Milk of Dreams – bedeutende Vertreterinnen der Kunstrichtung, die sich in den 1920er-Jahren entwickelte, ins Zentrum setzt.

Diesem Trend folgend, widmet sich nun auch das Freud-Museum in Wien dem Surrealismus. Mit der kleinen, aber sehr dichten Sonderschau Surreal! Vorstellung neuer Wirklichkeiten werden die Unterschiede sowie Übereinstimmungen der surrealistischen und der psychoanalytischen Auffassung eruiert. Anhand von 100 Werken und Schriften werden die beiden quasi selbst auf die Freud’sche Couch gelegt.

1941 entwarfen Vertreter des Surrealismus, darunter Max Ernst, Marcel Duchamp oder André Masson, ein Tarot-Kartenset. Der spanische Maler Oscar Dominguez gestaltete Freud als Magier.
Foto: Deutsches Spielkartenmuseum

Der Großteil der gezeigten Leihgaben stammt aus der Sammlung des Galeristen Helmut Klewan, deren Kern surrealistische Werke ausmachen. Ein Bildnis von Sigmund Freud selbst, das Hermann Stuck 1914 anfertigte, wurde dem Museum als Schenkung überlassen. Die Berggasse 19 als Ursprungsstätte der Psychoanalyse galt schon den Surrealisten André Breton und Salvador Dalí als Sehnsuchtsort.

Träume im Speisezimmer

Zentrum der dortigen Ausstellung stellt eine langjährige Korrespondenz zwischen Freud und Breton dar, die anhand von Briefen und Magazinbeiträgen in einer Vitrine abgebildet wird. Vor allem die Divergenzen werden hier klar: So wollten Vertreter des Surrealismus das Unbewusste darstellen, für Freud blieb dieses aber immer unterbewusst. Freud stand für Beherrschung der Triebe ein, die Künstler für eine Befriedigung der Sexualität. Wesentlichste Übereinstimmung war das Interesse für die Traumwelt, wobei diese für Freud Mittel zum Zweck war, den Künstlern galt sie als Inspirationsquelle.

An smaragdgrünen Wänden hängen rätselhafte Motive von Dalí, mystische Fantasien von Dorothea Tanning und abstrahierte Körper von Max Ernst.
Foto: Oliver Ottenschläger

Zwei Jahren nach Bretons Besuch in der Berggasse schrieb er 1924 im Manifest des Surrealismus: "Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität." 100 Jahre nach Entstehung des Surrealismus finden sich nun Werke von 50 Künstlerinnen und Künstlern im ehemaligen Wohn- und Speisezimmer Freuds zur surrealen Familienaufstellung ein: Begehren, Liebe, Träume, Halluzinationen ...

An smaragdgrünen Wänden hängen rätselhafte Motive von Dalí, mystische Fantasien von Dorothea Tanning und abstrahierte Körper von Max Ernst. Auch Objekte aus Bronze von Meret Oppenheim, zarte Zeichnungen von Pablo Picasso und Gemälde mit leeren Landschaften von Giorgio de Chirico sind in dieser wahrhaftigen Wunderkammer zu entdecken. (Katharina Rustler, 10.5.2022)