Der Beginn des mittlerweile bald drei Monate dauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine markierte nicht nur im angegriffenen Land, sondern auch in Russland selbst eine Wende für die Bevölkerung. Praktisch alle verbleibenden, relevanten unabhängigen Medien zogen sich zurück, beschränkten ihre Berichterstattung oder sperrten überhaupt ganz zu.

Grund dafür sind massive Verschärfungen der ohnehin schon umfassenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit und unverhohlene Drohungen der Medienbehörde. Den von Präsident Putin als "militärische Spezialoperation" betitelten Überfall als "Krieg" zu bezeichnen, kann mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden – so wie viele andere Aktivitäten, die die für ihre Willkür bekannten Behörden als antirussische Betätigung einstufen.

Zunehmende Abschottung

Auch die Zugänglichkeit mancher Plattformen wurde eingeschränkt. Facebook und das äußerst beliebte Instagram wurden als "extremistische" Plattformen eingestuft, russische Alternativen wie Rossgram sind im Aufbau. Derzeit sind die westlichen Portale dennoch weiter zugänglich, doch wie lange das so bleiben wird, ist unklar.

Das macht es auch schwieriger, von außen einen Einblick in das in eine Polizeidiktatur abgedriftete Land zu bekommen. Doch auch in diesem Klima der Repression gibt es Russinnen und Russen, die – durchaus unter Inkaufnahme von persönlichem Risiko – ein Fenster in das Leben unter Putin und den Sanktionen öffnen. DER STANDARD stellt vier Kanäle vor, denen zu folgen sich lohnt.

Foto: Google Maps/Youtube/Bearbeitung: STANDARD

Um nicht nur, wie es häufig in der Perspektive internationaler Medien der Fall ist, die Perspektive in Westrussland abzubilden, umfassen die Empfehlungen Youtube-Channels, deren Betreiber sich über die Breite des riesigen Landes verteilen.

Elina Bakunowa, "Eli from Russia"

Keinem fixen Ort zuzuordnen ist Elina Bakunowa. Sie lebte, wie sie sagt, lange im Ausland – auch in den USA – und bringt damit auch eine Perspektive "von außen" mit. Sie kehrte vor einem Jahr nach Russland zurück und bemühte sich seitdem vor allem, entlegenere und weniger bekannte Regionen Russlands vorzustellen und Wissen über die Kultur des Landes zu vermitteln.

Das tut sie auch weiterhin, doch seit Putin den Befehl zur Invasion in der Ukraine gegeben hat, dokumentiert sie auch, wie sich ihr Leben und das Leben ihrer Landsleute seither verändert – und wie diese über den Krieg denken.

Eli from Russia

Niki Proschin, St. Petersburg

Der Channel von Niki Proschin läuft unter seinem eigenen Namen. Er stammt eigentlich aus Sibirien, lebt aber mittlerweile in Sankt Petersburg. Er beschäftigt sich mit dem Alltagsleben in Russland und geht auch das Risiko ein, Proteste gegen die Regierung zu dokumentieren. Seit dem Krieg zeigt er, wie sich die Sanktionen auf das Leben auswirken, und gibt auch anekdotische Erfahrungen mit den teilweise massiv gestiegenen Lebensmittelpreisen weiter.

Das zeigt auf, dass der stabil erscheinende Kurs des Rubels die wirtschaftliche Realität längst nicht vollständig abbildet. Die Währung wird von der Zentralbank massiv gestützt, gleichzeitig kann sie fast nur noch im Inland verwendet werden.

Niki Proshin

Natalia Kurnaewa, Natasha’s Adventures, Chabarowsk

Einst hieß der Kanal von Natalia Kurnaewa "Yeah Russia", mittlerweile hat ihn die junge Frau aus dem im fernen russischen Osten gelegenen Chabarowsk umbenannt. Ursprünglich verfolgte sie ein ähnliches Konzept wie Elina Bakunowa und stellte verschiedene Städte und Regionen vor, immer wieder unterbrochen von Beiträgen über Bräuche und Kultur. In den vergangenen Monaten – auch schon vor Ausbruch des Krieges – nahm der Channel aber eine immer persönlichere Ausrichtung an.

Kurz nach dem Einmarsch schilderte sie in einem Update ihrer Situation auch Akte der Selbstzensur aus Furcht vor Repressionen. Weil sich ihr Kanal an internationales Publikum richtete, hatte sie lange wenig Angst, von der Staatsgewalt belangt zu werden. Das hat sich nun geändert, weswegen sie etwa Aufnahmen über Proteste gegen die Inhaftierung von Alexej Nawalny im vergangenen Jahr gelöscht hat. Zuletzt erzählte sie ebenfalls über die Auswirkungen der Sanktionen und dass sie darüber nachdenke, das Land zu verlassen.

Natasha's Adventures

Roman Abalin, NFKRZ, Tscheljabinsk/Tiflis

Aus Tscheljabinsk am Uralgebirge, nahe der kasachischen Grenze gelegen, kommt Roman Abalin. Er ist der bekannteste und reichweitenstärkste Youtuber Russlands. Ursprünglich kommt er aus der "Drama"- und Gaming-Community, schwenkte dann aber zunehmend auf Reise- und Kulturcontent um, immer wieder auch mit einer politischen Note.

Nach Kriegsbeginn kündigte er eine Pause für seinen Kanal an und offenbarte schließlich im März, dass er in die georgische Hauptstadt Tiflis umgezogen ist, da er wegen der immer stärkeren Einschränkung der Meinungsfreiheit für sich keine Zukunft mehr in Russland sah. Von Georgien aus nimmt er immer wieder Bezug auf die Situation in seiner Heimat und klärt dabei auch über die Methoden der russischen Auslandspropaganda abseits von RT und Sputnik auf.

NFKRZ

Auswanderungswelle

Abalin gehört damit zu den mittlerweile fast vier Millionen Russinnen und Russen, die (Stand: Ende März) das Land im Jahr 2022 verlassen haben. Diese Zahl ist übrigens keine Schätzung ausländischer Beobachter, sondern stammt vom Geheimdienst FSB selbst. Nicht alles sind Aufenthalte längerer Dauer, denn umfasst sind hier neben privaten Reisen auch dienstliche und touristische Trips.

Schon nach Kriegsbeginn mehrten sich aber Berichte über zahlreiche Ankünfte auf Flughäfen und Bahnhöfen benachbarter Länder, darunter viele Menschen aus der Tech- und IT-Branche. Russland hat mittlerweile Steuererleichterungen für IT-Firmen geplant, um dem entgegenzuwirken. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass der Krieg den ohnehin schon bestehenden Brain-Drain deutlich verstärken wird.

Russische Youtuber kämpfen derweil mit dem Problem, dass ihre Einnahmen massiv zurückgegangen sind. Zudem müssen sie einen Großteil der verdienten Devisen gemäß den gesetzlichen Vorgaben in Rubel umtauschen – ebenfalls eine Maßnahme zur künstlichen Stabilisierung des Kurses. Einige von ihnen bitten ihre Abonnenten daher mittlerweile um Spenden in Form von Kryptowährungen. Sie haben sich auch für ein etwaiges Verbot von Youtube und ihren anderen Kanälen in Russland gewappnet und Kanäle auf Telegram erstellt. (Georg Pichler, 16.5.22)