Den Abschluss der Zukunftskonferenz nutzte Emmanuel Macron für eine europapolitische Initiative: Noch im Juni soll ein Konvent zur Reform der EU-Verträge starten, Beitrittskandidaten sollen Türen geöffnet werden.

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"Wir werden unsere Texte ändern müssen", sagte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am Montag als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender zum Abschluss der "Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union" in Straßburg. Klingt unspektakulär.

Mit "Texten" meinte er jedoch konkret die EU-Verträge, Basis der Zusammenarbeit der 27 Mitgliedsstaaten. Zuletzt war das 2009 der Fall, unterzeichnet in Lissabon. Gemeinsam mit dem EU-Parlament kündigte Macron die Einberufung eines Reformkonvents der Regierungen im Juni an. Ein institutionelles Großprojekt kündigt sich an, das Konsequenzen für die weitere Vertiefung der EU-Integration, die gesamte Sicherheitspolitik Europas und die Aufnahme neuer EU-Mitglieder haben könnte. Auch Deutschland, Italien und die drei Beneluxstaaten sind dafür. Ein Dutzend Länder im Norden und im Osten Europas bremsen den Elan.

Im Plenarsaal des Parlaments waren zuvor 300 konkrete Vorschläge präsentiert worden, wie man die EU stärken, fit für das 21. Jahrhundert machen sollte. Ein Jahr lang wurde das in "Bürgerkonventen" von vor allem jungen Menschen erarbeitet. So soll das Einstimmigkeitsprinzip in der gemeinsamen EU-Außenpolitik fallen, Klima- und Gesundheitspolitik deutlich ausgebaut werden.

Macron sorgte mit einem weiteren Vorschlag für Aufsehen. Er will eine "Europäische Politische Gemeinschaft" ins Leben rufen, parallel zu EU und Europarat. Sie soll es beitrittswilligen Staaten erlauben, sich eng in die EU-Politik einzuklinken, bevor sie EU-Mitglied werden. Er begründete das mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine: Diese sei bereits "Herzensmitglied", aber "Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte" vom EU-Beitritt entfernt.

Frage: Was meint Frankreichs Präsident, wenn er von einer europäischen Konföderation spricht, in der die EU der Kern ist? Warum jetzt?

Antwort: Macron greift einen Vorschlag seines Vorgängers François Mitterrand in der Silvesteransprache 1989/90 auf, als der einer "Konföderation" – einem Staatenbund – das Wort redete. Damals war der Eiserne Vorhang gefallen, die osteuropäischen Staaten befreiten sich von Kommunismus und Zugriff der Sowjetunion. Die EU-Mitgliedschaft war (noch) kein Thema. Mitterrand ging es darum, dass alle europäischen Staaten in eine eigene europäische Struktur eingebunden werden, ohne die USA. Und ohne die EG mit damals nur zwölf Mitgliedern zu schwächen.

Die EG hatte gerade das Projekt von Binnenmarkt und Währungsunion begonnen. Paris wollte gleich auch eine "politische Union" schaffen, um ein künftig wiedervereinigtes Deutschland fest und "unwiderruflich" an die Partner zu binden. Aus der EU sollte gemäß Kommissionspräsident Jacques Delors eine Föderation werden, ein föderaler europäischer "Bundesstaat".

Frage: Warum wurde daraus nichts?

Antwort: Die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa strebten in die EG (später die EU), wie Österreich, Finnland und Schweden. Deutschland wurde 1990 wiedervereinigt, 1991 zerfiel die Sowjetunion. Mit dem EU-Vertrag von Maastricht 1991 wurde die Währungsunion fixiert. Die politische Union scheiterte, man hoffte auf später, als Folge des Euro. 1995 wurde ein umfangreicher Beitrittsprozess gestartet, der bis heute andauert. Stand: Nach dem Brexit 2020 gibt es nun 27 Mitgliedsländer, sechs Beitrittskandidaten und -werber auf dem Westbalkan, dazu die Türkei. Und auch die Ukraine, Georgien und Moldau wollen in die EU.

Frage: Heißt das, eine solche Konföderation würde künftige EU-Beitritte erleichtern oder erschweren?

Antwort: Macron sprach offen aus, worum es ihm geht: Das gemeinsame Europa müsse dringend an Souveränität, Sicherheit und Effizienz zulegen, wenn es in der globalen Welt eine Rolle spielen wolle. Deshalb drängt der Franzose auf rasche Vertiefung, vor allem eine eigene europäische Militärpolitik (als Teil und Säule der Nato). Staaten, die die volle EU-Integration nicht mitmachen wollen (oder können, wie etwa die Ukraine oder Serbien), sollten jedoch via Konföderation Teile der EU-Politiken übernehmen können.

Frage: Wie soll das gehen?

Antwort: Durch Flexibilität. Nicht-EU-Mitglieder könnten ohne Stimmrecht an Teilen der gemeinsamen Politiken teilnehmen, etwa im Verkehrs- oder Energiebereich. Das gälte auch für EWR-Staaten wie die Schweiz oder Norwegen. (Thomas Mayer, 10.5.2022)