Keir Starmer (links) will den Unterschied zwischen sich und Premier Boris Johnson (rechts) herausstreichen. Das könnte für den Chef der britischen Sozialdemokraten auch schiefgehen.

Foto: APA / AFP / Justin Tallis

Keir Starmer ging mit seinem Konkurrenten hart ins Gericht. Die britische Öffentlichkeit habe herzzerreißende Opfer bringen müssen, sagte er im Jänner im Unterhaus, wegen Corona Begräbnisse verpasst, sterbende Angehörige nicht mehr gesehen. Sein Gegner aber, Premier Boris Johnson, habe sich nicht an die eigenen Gesetze gehalten, dann darüber gelogen, den Stolz der Nation verletzt – er müsse deshalb zurücktreten.

Die Rede galt als einer der stärksten rhetorischen Auftritte des britischen Oppositionschefs im Skandal rund um Partygate: Das ist jene Affäre, in der Johnson vorgeworfen wird, die von ihm selbst verhängten Corona-Regeln wiederholt verletzt zu haben. Der Premier weigert sich seither standhaft, deshalb sein Amt aufzugeben. Nun aber könnte der Skandal hingegen Starmer selbst den Job kosten. Beergate, so nennen die Medien den angeblichen Skandal rund um den Sozialdemokraten. Ihm wird nun Ähnliches vorgeworfen wie Johnson.

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Oder zumindest fast. Denn bei genauerem Hinsehen sind die Vorwürfe doch recht verschieden. Starmer wurde während eines Treffens mit seinem Wahlkampfteam im April 2021 mit einer Flasche Bier in der Hand fotografiert. Die Bilder wurden, wie der "Guardian" schreibt, vom Sohn eines Journalisten der rechtsextremen Publikation "Breitbart" aufgenommen – und zwar zu einem Zeitpunkt, als in Großbritannien noch ein Teillockdown herrschte, größere Versammlungen also dann untersagt waren, wenn sie rein gesellschaftlichen Zweck hatten.

Bier. Aber zur Arbeit!

Labour und Starmer argumentieren, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Starmer habe vielmehr bis spät in die Nacht mit seinem Team gearbeitet, man sei also ohnehin schon eng beisammen gewesen. Arbeitstreffen seien immerhin erlaubt gewesen. Dann habe man neben der Arbeit eben ein Curry bestellt. Labour will dafür Whatsapp-Nachrichten aus der fraglichen Nacht und ein Arbeitsprotokoll vorlegen. Sie sollen beweisen, dass bei der Zusammenkunft tatsächlich gearbeitet wurde, und zwar über das Abendessen hinaus. Das, so argumentieren die Sozialdemokraten, unterscheide den Fall vom Partygate von Premier Johnson. Diesem wird ja vorgeworfen, sich mit Mitarbeitenden mehrfach ohne beruflichen Grund zu Geburtstagsfeiern und anderen sozialen Treffen versammelt zu haben, deren Teilnehmende extra zusammengerufen wurden.

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Starmer ist sich der Unterschiede jedenfalls sicher – und er ging von sich aus aufs Ganze. Am Montag teilte er in einer Rede mit, er werde zurücktreten, wenn sich anhand von Ermittlungen der Polizei im nordenglischen Durham, wo Curry und Bier 2021 bestellt wurden, schuldhaftes Verhalten feststellen lasse. Genau das fordert Starmer ja auch seit Wochen von Johnson, der wegen seines Covid-Skandals bereits zur Zahlung einer Buße aufgefordert worden ist.

Eh alle gleich

Allerdings stellt der Schachzug auch maximales Risiko dar: Muss Starmer tatsächlich Strafe zahlen, ist seine Karriere zu Ende. Das wäre auch für Labour ein großes Problem. Gerade erst hat der Parteichef die Sozialdemokraten wieder auf die Siegerstraße zurückgeführt – und sich selbst vom farblosen Anwalt zum einigermaßen anerkannten Oppositionschef gemausert. Umfragen sehen ihn bereits auf dem Weg ins Premiersamt. Muss er gehen, ist vieles von dieser Aufbauarbeit wieder perdu. Noch dazu, wo sich keine offensichtliche Nachfolgerin für die Spitze der Partei aufdrängt. Seine Stellvertreterin Angela Rayner war beim Treffen mit Bier und Curry ebenfalls dabei.

Allerdings hat sich Starmer in der Causa auch nicht gerade geschickt verhalten. Als die Anschuldigungen erstmals publik wurden, rechtfertigte er sich eher via Worthülsen, redete herum, erweckte den Eindruck, als ginge es vor allem um Legalistisches – und nicht um einen grundsätzlichen Unterschied. Das ist, so beurteilen es britische Medien, nicht ungefährlich. Denn es erweckt einen Eindruck, der sich auf der Insel ohnehin seit Monaten erhärtet: dass am Ende alle Politiker gleich sind und die Mächtigen es sich immer richten würden.

Genau diese Vorstellung ist es, der Starmer mit seiner riskanten Ankündigung nun entgegentreten will. Auch wenn Labour-Strategen eine zuletzt in Medien kursierende Meldung zurückwiesen: dass Starmer auch deshalb mit einem Rücktritt liebäugle, weil der Schritt dann Johnson unter Druck setzen würde, es ihm gleichzutun. Dafür, so die Vermutung, fehle dem Premier gewiss der Anstand. Ein Interview mit Polizeiminister Kit Malthouse, in dem dieser einen solchen Schritt Johnsons ablehnt, scheint ihnen recht zu geben. (Manuel Escher, 10.5.2022)