Die EU hat Vorkehrungen für ein Embargo getroffen. Genauere Regeln müssen aber die Staaten vereinbaren.

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Schon allein ein Signal in Richtung Gasembargo wäre laut Margarete Schramböck fatal. "Weder Österreich noch Deutschland würden das durchhalten", sagte die Wirtschaftsministerin, die am Montag zurückgetreten ist, vergangene Woche zu deutschen Medien. Für den Fall eines Embargos macht sie Bayern, das von österreichischen Speichern abhängig ist, wenig Hoffnung auf Solidarität. Österreich müsse Gas beziehen, um den eigenen Bedarf zu sichern, könne aber kein Gas für Deutschland kaufen.

Ganz so einfach ist das freilich nicht, denn EU-Staaten sind zur gegenseitigen Solidarität verpflichtet – nicht nur im Kriegsfall, sondern auch bei einem möglichen Gaslieferstopp. Ist ein Staat nicht mehr in der Lage, Haushalte, Krankenhäuser oder wichtige Stromerzeuger zu versorgen, müssen andere Länder einspringen. Die Details dazu sollten die Staaten eigentlich untereinander regeln. Das ist bisher aber nur in wenigen Fällen passiert – unter anderem zwischen Österreich und Deutschland.

Pflicht zur Solidarität

Laut der SoS-Verordnung, die die sichere Gasversorgung in der EU gewährleisten soll, sind Mitgliedsstaaten in erster Linie dazu verpflichtet, selbst Vorsorge zu treffen. Erst wenn es tatsächlich zu einem Ernstfall kommt – und Haushalte oder wichtige Kraftwerke betroffen sind –, müssen Mitgliedsstaaten ihren Nachbarländern beistehen. Der Staat, der Unterstützung leistet, bekommt dafür eine Entschädigung.

"Im Ernstfall sind zunächst marktbasierte Lösungen vorgesehen", sagt Stefan Storr, Professor für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien zum STANDARD. Mitgliedsstaaten, die Unterstützung leisten, müssen versuchen, den Gasverbrauch im eigenen Land auf freiwilliger Basis der Bezieher zu senken. Wenn das nicht reicht, sind sie dazu verpflichtet, Kürzungen im eigenen Land anzuordnen, um geschützte Kunden eines anderen Staates zu versorgen. Wären etwa deutsche Haushalte oder wichtige Stromversorger von einem Lieferstopp betroffen, müsste Österreich eigenen Unternehmen den Hahn zudrehen und Gas nach Deutschland schicken.

Abkommen fehlen

Mitgliedsstaaten sind also schon nach EU-Recht dazu verpflichtet, im Fall eines Engpasses auszuhelfen. Die finanziellen und technischen Details dazu werden in der SoS-Verordnung allerdings nicht geregelt. Nachbarländer müssen daher seit 2018 Gasabkommen aushandeln. Bisher wurden EU-weit jedoch erst vier Verträge geschlossen. Die EU-Kommission leitete deshalb gegen fast alle Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein – auch gegen Österreich.

"Die Staaten müssen selbst dann Solidarität leisten, wenn sie keine Abkommen abgeschlossen haben", sagt Storr. "Sie können sich dieser Pflicht nicht entziehen." Fehlen die Vereinbarungen zwischen den Ländern, müssten sie im Ernstfall aber spontan die technischen und finanziellen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Das wäre "kein voller Ersatz für bilaterale Abkommen", sagt Johannes Hartlieb, Rechtsanwalt und Experte für Energierecht. "Vor allem deshalb, weil dann im Ernstfall alles viel länger dauert."

Regierung führt Gespräche

Warum es bisher kaum Abkommen gibt, kann sich Storr nur schwer erklären. "Das Interesse daran dürfte nicht besonders groß gewesen sein", sagt der Jurist. "Man hat die Notwendigkeit offenbar noch nicht gesehen und abgewartet." Carola Millgramm von der Energiebehörde E-Control sieht das anders. Die EU-Kommission habe den Staaten viel Spielraum gelassen. "Bevor ein Abkommen abgeschlossen wird, gibt es zwischen den Staaten viel Klärungsbedarf", sagt Millgramm. "Kommt es tatsächlich zu einem Solidaritätsfall, müsste man kurzfristig Regelungen finden."

Der Krieg und die Gefahr eines Lieferstopps dürften nun Schwung in die Verhandlungen bringen. Österreich und Deutschland schlossen ihr Abkommen Ende Dezember. Abgesehen von einem Vertrag zwischen Deutschland und Dänemark war dieses erst das zweite seiner Art in Europa. Mittlerweile haben sich auch Italien und Slowenien sowie Lettland und Estland geeinigt.

Solidaritätsabkommen sind laut der EU-Verordnung unter jenen Staaten verpflichtend, die direkt mit Gasfernleitungen verbunden sind. Österreich muss abgesehen von Deutschland daher auch mit der Slowakei, Ungarn, Slowenien und mit Italien Verträge schließen. Mit Polen und Bulgarien, die mittlerweile kein Gas mehr aus Russland bekommen, ist Österreich dagegen nicht mittels Fernleitung verbunden. Laut Energieministerium laufen mit den vier betroffenen Staaten derzeit Gespräche. Man will sie "unter den aktuellen Voraussetzungen auch intensiv führen". (Jakob Pflügl, 11.5.2022)