Erst 24 Jahre alt und schon Weltspitze: Pianist Alexandre Kantorow.

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Beim Benefizkonzert der Konzerthausgesellschaft zugunsten der Leidtragenden des Ukraine-Kriegs hätte er langsame Sätze aus verschiedenen Klavierkonzerten spielen sollen – es wurde abgesagt. Nun präsentierte sich Alexandre Kantorow am Montagabend mit Werken von Schumann, Liszt und Skrjabin im Mozart-Saal. Von Pathos und Kitsch, kardinalen Interpretationssünden im Romantikfach, zeigte sich der 24-Jährige gänzlich unbefleckt – was bei Schlachtrössern wie Liszts Dante-Sonate ein Kunststück ist. Kantorow interpretierte das zwischen Dämonie und Heiligenvisionen aufgespannte Werk mit einer Innigkeit und Differenziertheit wie kaum einer vor ihm.

Auch die fis-Moll-Sonate von Robert Schumann, dem Überschwänglichen, war bei Kantorow nie überladen. Dafür unvergleichlich prägnant: Die Kopfsatz-Themen wirkten wie unterschiedliche Werke. Der Pianist als Schöpfergott, der aus Tönen Seelenlandschaften erschafft. Bei Liszts Bearbeitung von Bachs Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen war alles ein kraftvolles Strömen. Und beim Petrarca-Sonett Nr. 104 wurden Melodielinien, die wie Diademe glitzern, von transparenten Schleiern der Begleitfiguren umhüllt. Dass der Gewinner des Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs (2019) technisch über allen Dingen steht, braucht wohl nicht erwähnt zu werden.

Fein modelliert

Da ist oft eine dunkle, kraftvolle Sinnlichkeit in Kantorows Spiel, die jedoch nie ins Korpulente anschwillt. Der Franzose klotzt nicht, er modelliert. Und er schafft es spielend, mit seiner Suggestivkraft die Spannung auch bei erratischen Werken wie Liszts La lugubre gondola zu halten. Drei Zugaben, stehender Applaus. Daniil Trifonow, mit dem Kantorow keinen Vergleich zu scheuen braucht, hat einst schnell den Weg vom Mozart-Saal in den Großen Saal gefunden. Alexandre Kantorow wird selbiges hoffentlich auch gelingen: Er ist einer der besten Pianisten der Welt. (sten, 11.5.2022)