In der Serie "Geradegerückt" betrachten wir Geschichten über weibliche Berühmtheiten genauer und fragen, welche Erzählungen sich über diese Frauen durchgesetzt haben – und was daran womöglich falsch ist.

Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!" – Dieses Zitat hat Marie-Antoinette zeit ihres Lebens und auch lang danach begleitet. Dass die einstige Königin von Frankreich das so nie gesagt hat, ist bis heute nicht überall angekommen. Die Erzählung über die abgehobene Verschwenderin ohne Bezug zum Volk hält sich hartnäckig.

Ein Porträt von Marie-Antoinette von Joseph Siffried Duplessis im Auktionshaus Auguttes nahe Paris.
Foto: JULIEN DE ROSA / AFP / APA

Das Leben der 1755 als Maria Antonia von Österreich geborenen Erzherzogin war schon früh von schlechten Vorzeichen geprägt. Am Tag vor ihrer Geburt: das Erdbeben von Lissabon, das bis zu 100.000 Todesopfer forderte und die portugiesische Hauptstadt fast zur Gänze zerstörte. Am Tag ihrer Hochzeit, bei der sie erst 14 Jahre alt war: eine durch Feuerwerkskörper ausgelöste Panik, die zum Tod von etwa 140 Menschen führte.

Als 15. von insgesamt 16 Kindern von Kaiserin Maria Theresia war sie gar nicht für eine hochrangige Ehe vorgesehen, hatte sie doch zahlreiche ältere Schwestern. Deshalb wurde in ihrer Ausbildung auch nicht sehr viel Wert darauf gelegt, wie sie sich in einer Hochadelsfamilie als gute Ehefrau zu verhalten hatte.

Defensivbündnis mit Frankreich

Mitte der 1750er-Jahre wurde allerdings der jahrhundertealte habsburgisch-französische Gegensatz beendet. Um das Bündnis mit Frankreich zu festigen, kam es 1770 zur Hochzeit Maria Antonias und des Dauphins Ludwig August – all ihre älteren Schwestern waren zu diesem Zeitpunkt bereits vermählt oder verstorben.

Mit 14 Jahren ließ sie ihr gesamtes bisheriges Leben zurück – im wörtlichen Sinne: An der Grenze zu Frankreich musste sie tatsächlich alles Österreichische ablegen und abgeben, bis hin zu ihrer Unterwäsche. Aus Erzherzogin Maria Antonia wurde Dauphine Marie-Antoinette – sie wurde von nun an bis ins kleinste Detail beäugt, ihre Aktivitäten, jede kleinste Bewegung. Für viele im französischen Volk und am französischen Hof blieb sie trotz des neuen Namens und der Besiegelung des habsburgisch-französischen Friedens Österreicherin – und damit eine Feindin. Am Hof war sie aufgrund ihres teilweise legeren Umgangs mit der Hofetikette als jung und unerfahren verschrien – Eigenschaften, die eigentlich für eine 14-Jährige selbstverständlich sein sollten. Verächtlich wurde sie "l’Autrichienne" genannt – was eigentlich lediglich "die Österreicherin" bedeutet, im Französischen aber auch wie l’autre chienne ("die andere Hündin") klingt – und in den meisten Fällen wohl auch so gemeint war.

You had one job

Die Thronbesteigung des jungen Königspaars folgte im Mai 1774, nach dem Tod von Ludwig XV. Lange kam Marie-Antoinette ihrer – damals in den Augen der Gesellschaft – wichtigsten Aufgabe nicht nach: einen Thronfolger zu gebären. Wegen medizinischer Probleme oder sexueller Ahnungslosigkeit des Königs – darüber sind sich Historiker:innen uneinig – folgte die Geburt ihrer ersten Tochter erst im Jahr 1778. Der damals wesentlich wichtigere männliche Nachkomme kam erst 1781 zur Welt. Dafür wurde Marie-Antoinette die Schuld gegeben, Karikaturen zeigten sie etwa als "schlechtes Schloss", für das der Schlüssel nicht passte – eine Anspielung auf die besondere Vorliebe des Königs für Schlösser. Damit machte man sich zwar auch über Ludwig den XVI. lustig, das Versagen wurde allerdings Marie-Antoinette vorgeworfen.

Marie-Antoinette war für glamouröse Kleider bekannt.
Foto: APA/AFP/MARTIN BUREAU

Das war natürlich nicht der einzige Kritikpunkt an der jungen Monarchin: Hinzu kamen wiederholte Anschuldigungen, sie sei österreichische Spionin, sowie Gerüchte über zahlreiche – auch homosexuelle – Affären, die auch nicht abnahmen, nachdem sie sich vorrangig als Mutter porträtieren ließ. Und natürlich die ständigen Verschwendungsvorwürfe.

Marie-Antoinette hatte tatsächlich eine Vorliebe für das Glücksspiel und gab viel Geld für Kleidung und extravagante Frisuren aus, die oft eher Kunstwerken glichen, doch war dies damals absolut üblich für eine Königin – und Teile der Wirtschaft waren von diesem Lebensstil abhängig. Als sie sich 1783 in einem schlichten Leinenkleid porträtieren ließ, beklagten die Seidenweber, "eine Königin, die sich so schlecht kleide, sei schuld, wenn die Seidenweber verhungerten".

Lebensstil als Schuldeingeständnis

1785 kam noch die sogenannte Halsbandaffäre dazu, bei der Marie-Antoinette eigentlich gar keine aktive Rolle gespielt hatte: Dabei ging es um ein Diamantencollier, das König Ludwig der XV. für seine Mätresse anfertigen ließ. Als er verstarb, gab es dafür plötzlich keine:n Abnehmer:in mehr, das Königshaus lehnte einen Kauf aufgrund des hohen Preises mehrfach ab. Doch die Erzählung, Marie-Antoinette wollte das Halsband eigentlich besitzen, setzte sich durch: Ihr Lebensstil machte sie quasi automatisch zur Schuldigen.

Marie-Antoinette im Jahr 1783, gemalt von Vigée-Lebrun.
Foto: imago/United Archives International

Versuche, diesen zu ändern, gab es danach viele: Marie-Antoinette verzichtete auf kostspielige Annehmlichkeiten, mied das Theater, Bälle und Empfänge. Sie zog sich noch mehr in ihr kleines Schloss "Le Petit Trianon" zurück, das sie von Ludwig 1774 als Ort der Erholung geschenkt bekommen hatte; über die Ausgaben dafür wurden immer wieder überzogene Berichte verbreitet. Doch sie blieb die vorrangige Projektionsfläche des Hasses der Volksmassen. Gleichzeitig verärgerte sie aber auch hochrangige Mitglieder des Hofes, indem sie dort nur den Besuch von engen Freund:innen zuließ. Es hagelte also von allen Seiten Kritik an ihr, Marie-Antoinette konnte es eigentlich niemandem recht machen.

Konzept Monarchie

In ihrem "kleinen" Schloss spielte sie übrigens gern "einfache Bäuerin" und beschäftigte dort jemanden, der ständig Brot backen musste, damit es immer nach frischem Brot roch. Vorwürfe der Realitätsferne und rund um ihr Desinteresse für Politik entsprechen also natürlich auch der Wahrheit, aber die Monarchie, der französische Hof und Versailles waren nun einmal so konzipiert – lange bevor Marie-Antoinette Königin wurde.

Wenngleich Wut angesichts von Hungersnöten und massiver Ungleichheit mehr als nur angebracht war, konzentrierte sich der Hass oft noch mehr auf Marie-Antoinette als ihren Mann, der immerhin der König von Frankreich war und damit über tatsächliche Entscheidungsmacht verfügte.

Eine anonyme Zeichnung, die den Zeitpunkt kurz vor Marie-Antoinettes Hinrichtung zeigt und im Pariser Louvre ausgestellt ist.
Foto: imago/UIG

Während der Französischen Revolution wurde sie nach Abschaffung der Monarchie gefangen genommen, gefoltert, bekam den abgeschlagenen Kopf einer ihrer engsten Freundinnen "vorgeführt", und musste die Qualen ihres Sohnes mitanhören, bis sie schließlich zum Tode verurteilt wurde. Übrigens nicht nur wegen "Hochverrats", sondern auch "Unzucht" – man hatte ihren Sohn unter Folter dazu gebracht, sie des Inzests zu beschuldigen. Mit geschorenem Kopf wurde sie auf einem Karren durch die Pariser Straßen geführt. Ihre letzten Worte auf dem Weg zur Guillotine waren "Pardon, Monsieur", weil sie dem Henker versehentlich auf den Fuß getreten war. (Noura Maan, 13.5.2022)