Madeleine Petrovic, Tierschutz-Austria-Präsidentin, und FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl bei einer Pressekonferenz zum Volksbegehren gegen Lebendtiertransporte im April 2022.

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Dass die Initiative "Stoppt Lebendtier-Transportqual" von Niederösterreichs Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) erfolgreich sein wird, hatte sich im Vorfeld bereits abgezeichnet. Das Ausmaß der Unterstützung kam aber dann doch etwas unvermittelt: 426.938 Unterstützerinnen und Unterstützer (das sind rund sieben Prozent der 6.361.479 Stimmberechtigten) fanden sich insgesamt. Damit wurde es deutlich Erster vor sechs anderen zeitgleich aufliegenden Volksbegehren – und stach sogar das Antikorruptionsbegehren einer Gruppe um Martin Kreutner, einem Experten in diesem Bereich, aus.

Trotz seines brisanten Themas erreichte Letzteres mit 307.629 Unterschriften (4,8 Prozent der Stimmberechtigten) lediglich Platz zwei. Die Proponentinnen und Proponenten werteten dies als "deutlichen Erfolg". Beobachter, etwa der Politologe Martin Dolezal von der Universität Graz, sehen das anders: "Aus nüchterner Perspektive betrachtet ist das Ergebnis nicht berauschend. Das war so nicht absehbar."

Doch wie kam es zu dieser Überraschung? Ein Erklärungsversuch in fünf Thesen.

1. Tiere emotionalisieren

Tiere wecken Emotionen. Das wissen sich Politiker auf einschlägigen Fotos zunutze zu machen. Und dieser Umstand habe auch dem Tiertransport-Volksbegehren in die Karten gespielt, sind sich Experten einig.

"Das Tiertransport-Volksbegehren dreht sich um eine emotionale Frage. Jeder halbwegs mitfühlende Mensch kann ein Volksbegehren gegen Tierqual unterstützen", sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, Fachhochschule Kärnten. Der Gefühlsaspekt sei von den Proponenten geschickt genutzt worden.

Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien hält es zwar auch für möglich, mit dem Thema Korruption Emotionen hervorzurufen – etwa Ärger oder Wut. "Aber es ist schwieriger", räumt er ein.

Und er gibt zu bedenken, dass nicht jede Art von Emotion mobilisiere: "Bei Korruption kann das schnell in Frust umschlagen." Das Resultat: Es stelle sich das Gefühl ein, dass sich ohnehin nichts ändere. Motivation, ein Volksbegehren zu unterschreiben, schafft das freilich nicht.

2. Komplexität schreckt ab

Satte 72 Forderungen auf zwölf DIN-A4-Seiten umfasst das Antikorruptionsbegehren, lediglich ein Verlangen auf einer Seite das Tiertransportbegehren. Der Aufwand, Ersteres zu erfassen, war also deutlich größer.

Der Anspruch der Antikorruptionsinitiative, ein umfassendes Paket auf den Weg zu bringen, sei zwar "ehrenhaft", sagt Ennser-Jedenastik. "Das erschwert aber Kommunikation und Mobilisierung. Manchmal ist es leichter, wenn man das Anliegen stärker auf den Punkt bringt."

In dieselbe Kerbe schlägt Martin Dolezal, der in Graz am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft forscht. "Die Kommunikation des Antikorruptionsbegehrens war sehr technisch und wenig auf Einzelfälle heruntergebrochen".

Abgesehen davon ist eine lange Latte an Forderungen aus einem weiteren Grund heikel. "Je mehr Punkte, desto höher ist das Risiko, dass einer dabei ist, den potenzielle Unterstützerinnen und Unterstützer nicht unterschreiben wollen", erklärt Stainer-Hämmerle.

Zusätzlich zum beachtlichen Umfang des Antikorruptionsbegehrens kommt erschwerend hinzu, dass es ein durchaus komplexes Thema zum Gegenstand hat. "Es geht um Dinge wie Cooling-off-Phasen oder eine Umstrukturierung der Medienförderung. Das sind sehr trockene Materien", sagt Ennser-Jedenastik.

3. Der Zeitpunkt muss passen

Von der Idee, ein Volksbegehren zu starten, bis zur Einleitungswoche, in der offizielle Unterschriften gesammelt werden, vergehen meist Monate. In dieser Zeit kann sich ein Thema totlaufen und dadurch weniger mobilisieren. "Es kommt eine Corona-Welle oder ein Krieg dazwischen. Der Effekt, den ein konkreter Anlass gehabt hätte, verpufft", sagt Ennser-Jedenastik.

Das dürfte beim Antikorruptionsbegehren, das infolge des Ibiza-U-Ausschusses gestartet wurde, geschehen sein. "Hätte die Initiative gegen Korruption in der Abfolge etwas früher stattgefunden, hätte sie sicher mehr Schwung bekommen", ist Stainer-Hämmerle überzeugt.

Zwar sei der Auslöser noch präsent, in der Bevölkerung sei aber eine Ermüdung eingetreten. "Die ersten Skandale rufen Empörung hervor. Wenn man aber über Wochen oder gar Monate mit dem Thema konfrontiert ist, steigt man irgendwann aus."

Welcher Zeitpunkt besser gewesen wäre? "Im Herbst, nach dem Rückzug von Sebastian Kurz" – dies zu steuern ist jedoch schwierig.

4. Politiker sind Zugpferde

Volksbegehren sind eigentlich dazu da, dass einfache Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen ins Parlament tragen können. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass sich Politikerinnen und Politiker dieses Instruments bedienen und kräftig mobilisieren – so geschehen beim Tiertransport-Volksbegehren.

"Dieses wurde sogar von einem amtierenden Landesrat initiiert. Die ehemalige Grünenpolitikerin Madeleine Petrovic war sehr stark involviert, das gab dem Ganzen eine überparteiliche Anmutung", sagt Dolezal. Organisatorisch sei dieses Engagement von Politikern und Parteien jedenfalls "ein Faktor".

Stainer-Hämmerle sieht in einer derartigen Unterstützung keinen Vorteil für die Mobilisierung – im Gegenteil: "Ein Landesrat hätte andere Möglichkeiten, seine Anliegen durchzusetzen. Das ist ein Missbrauch des Instruments Volksbegehren, der allerdings nicht thematisiert wurde." Das Antikorruptionsbegehren sei personell besser aufgestellt gewesen.

5. Politische Kultur hat Anteil

Die gesellschaftliche Einstellung zur Korruption in Österreich hat es dem Antikorruptionsbegehren wohl zusätzlich schwergemacht. "Wir wissen aus Umfragen, dass es hierzulande eine vergleichsweise hohe Toleranz gegenüber kleiner Korruption gibt", sagt Ennser-Jedenastik. "Passiert Derartiges auf der politischen Ebene, entschuldigt man es eher." Für Initiativen, die sich des Problems annehmen, ergebe sich daraus durchaus ein Mobilisierungsproblem. (Stefanie Rachbauer, 10.5.2022)