Willkommen im Wiener Ruderclub Pirat.

Heribert Corn

Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist eine zutiefst menschliche: Warum, um alles in der Welt, beginnt das Rudertraining um 6.30 Uhr morgens? Eine mögliche Antwort liefert die Szenerie: Es ist ein ruhiger, sonniger Morgen am Dampfschiffhaufen an der Alten Donau. Das stählerne Tor an der Einfahrt steht offen, alle 15 Minuten hält die Buslinie 92a an der Hauptstraße. Durch die Bäume schummelt sich das gelbe Haus: "Wr. Ruderclub Pirat". Hinter dem Bootshaus präsentiert sich die Alte Donau in ihrer ganzen Pracht: Die Sonne streichelt die großteils ruhige Wasserfläche, es ist ruhig, fast still. Zu allem kitschigen Überdruss nisten zwischen Wasserpflanzen, Gräsern und Zweigen zwei Schwäne. Aus der Innenstadt braucht es mit öffentlichen Verkehrsmitteln rund 40 Minuten hier heraus. Es ist eine andere Welt.

Die Alte Donau präsentiert sich in aller Herrgottsfrüh als Postkartenmaterial. Später wird es bedeutend enger.
Heribert Corn

Und trotzdem: Für jene gottlose Uhrzeit herrscht bereits reges Treiben am Wasserufer in der Wiener Donaustadt. Einige Ruderer sind schon in das schicke blau-rote Vereinstrikot geschlüpft, andere sind noch in Shirts und Alltagskleidung. Aufwärmen, Dehnen, kurze Gespräche, Vorbesprechungen. Die Hinterseite des Hauses, das in dieser Form seit den 1980ern besteht, ist großteils aus Holz, das Herz ist die ebenerdige Bootshalle, bei deren Eingang sich die Ruderer versammeln. Drinnen sind die Boote.

"Der Platz ist beschränkt. Rudern kann nur zu Randzeiten stattfinden", sagt Daniel Drobil. Der 42-Jährige ist Oberbootsmann im Ruderclub Pirat, in den Sport wurde er "hineingeboren. Mein Vater war 40 Jahre Funktionär im Verein, mein Onkel außerdem Präsident des österreichischen Ruderverbandes. Rudern liegt in der Familie." Wenn der Tag an der Alten Donau fortschreitet, wird das Wasser bedeutend unruhiger. Kleine Elektroboote schunkeln an den Ufern entlang, je besser das Wetter, desto mehr "kleine Köpfe", die zu Schwimmern und Schwimmerinnen gehören, ragen aus der Oberfläche. Dazu kommen die Segelboote der Segelvereine, die ebenfalls um Platz und Wind kämpfen. Kurz: Es ist einiges los. Rudern braucht vor allem Platz. Das Boot eines Achters ist rund 17,5 Meter lang. Ein Einerboot, auch Skiff genannt, misst längs immerhin noch acht Meter. "Viele Nichtruderer schätzen auch die Geschwindigkeit, das Tempo der Ruderboote falsch ein und denken sich: ‚Das Boot ist eh noch weit genug weg.‘ Es geht aber meist viel schneller. Und dann kracht es", sagt Drobil.

Spektakel olé

An der Alten Donau wird es ernster. Die Ruderer versammeln sich um einen Computer (älteres Modell) in der Garage, der Steuermann, der als einziger kein Trikot trägt, teilt die Plätze für den Riemen-Achter zu. Beim Rudern wird in zwei Kategorien unterschieden: Der Riemen wird beim Riemenrudern mit zwei Händen gehalten, im Gegensatz dazu hält beim Skullen jeder Ruderer zwei sogenannte Skulls. Klingt kompliziert, ist aber absolutes Basiswissen. Die Bewegungsabläufe sind schon vor dem Wasser durchgetaktet und koordiniert. Es ist gar nicht so einfach, das lange Boot aus der Bootshalle zum Steg zu bekommen – wenn möglich, ohne etwas zu rammen. Die Boote wirken elegant, aber auch irgendwie fragil. Es gelingt. Wenig später sitzen neun Männer und Frauen auf dem schmalen Kelch und legen los. Es sind nicht mehr viele Tage bis zur Regatta.

Aufwärmen in der Bootshalle.
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Die Regatta heißt Wienerachter und geht am 14. Mai über das Wasser der Alten Donau. Organisator Drobil, der hauptberuflich das Universitätssportinstitut an der Donau-Uni in Krems leitet, verspricht sich viel – vor allem Action. "Es ist ein ungewöhnliches Format, das sicherlich spannend wird", sagt er. Die 4800 Meter werden in Massenstarts in Angriff genommen, das bedeutet, die fünf bis zwölf Boote der einzelnen Kategorien legen gleichzeitig los. Gestartet wird beim Clubhaus der Piraten, wo sich auch das Ziel befindet.

Die Strecke führt an der östlichen Seite des Gänsehäufels vorbei bis vor die Kagraner Brücke, wo gewendet wird. Im Rennsportjargon könnte man das einen neuralgischen Punkt nennen: "Niemand will dort Zeit liegenlassen, alle suchen die perfekte, die beste Linie. Das wird besonders interessant", sagt Drobil. Zusammenstöße sind vorprogrammiert, aber nicht erwünscht, weil nicht regelkonform: "Langsamere Boote müssen Schnelleren das ungehinderte Überholen entsprechend der Rennsituation ermöglichen", heißt es in den Regeln. Ja eh. Drobil: "Natürlich behalten wir es uns vor, unfaire oder regelwidrige Aktionen zu bestrafen." Die Rückfahrt erfolgt auf der westlichen Seite des Gänsehäufels.

Schon schön.
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Kanal ade

Drobil verspricht sich neben einem Spektakel auch Aufmerksamkeit für den Rudersport. Rudern ist in seiner Tradition zwar höchst beständig (Rudervereine zählen zu den ältesten Sportvereinen des Landes), andererseits sammelt sich über die Jahrzehnte auch ordentlich Staub: "Die große Beachtung passiert vor allem rund um die Olympischen Sommerspiele. Sie flacht dann aber auch schnell wieder ab." Es braucht also Breitenwirksamkeit, Action, sprich Aufmerksamkeit bei einem größeren Publikum. In den vergangenen zwei Jahren konnte der Wienerachter wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden, davor wurde auf dem Donaukanal mitten in der Stadt gerudert. Da staunte der Stadtspazierer, als plötzlich Boote an den Graffitis und hippen Kanalcafés vorbeizischten.

Das Training an der Alten Donau ist bald vorbei. Vor der Bootshalle bereitet ein älterer Mann gewissenhaft sein Boot vor. Drobil beschreibt die Faszination so: "Rudern kann ein packender Teamsport sein. Oder man kann alleine seine Längen ziehen. Es hat etwas Meditatives." Es ist außerdem sehr gut für den Körper. Die Ruderer geben nach und nach das Wasser für die anderen Besucher frei. Nur die Schwäne schlafen noch. (Andreas Hagenauer, 13.5.2022)