Das Hauptgebäude der ÖAW in der Wiener Innenstadt. 1857, zehn Jahre nach ihrer Gründung, übersiedelte die Akademie in das ehemalige Gebäude der Universität Wien.

ÖAW

Sie ist heute die mit Abstand wichtigste außeruniversitäre Einrichtung für Wissenschaft und Forschung des Landes. 1847 noch als reine Gelehrtengesellschaft gegründet, betreibt die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) 175 Jahre später mit rund 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 25 Instituten Grundlagenforschung. Als Gelehrtengesellschaft hat sie heute über 760 Mitglieder im In- und Ausland.

Doch wie wurde die ÖAW zu dem, was sie heute ist? Welche Entwicklungen, welche Höhen und Tiefen machte sie im Laufe ihrer 175-jährigen Geschichte durch?

Voluminöse Aufarbeitungen

Diesen Fragen widmen sich insgesamt gleich vier Bände, die aus Anlass des nicht ganz runden Jubiläums dieser Tage erschienen sind. Sie setzen auch im internationalen Vergleich neue Maßstäbe in der akademischen Institutionengeschichtsschreibung, jedenfalls in puncto Ausführlichkeit.

Johannes Feichtinger und Brigitte Mazohl (Hg.), "Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847–2022". € 99,– / 1845 S. Verlag der ÖAW, Wien 2022

Ein gleich dreibändiges Kompendium mit über 1.800 Seiten, das eine "neue Akademiegeschichte" verspricht, hat die Historikerin Brigitte Mazohl, 2013 bis 2017 Präsidentin der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW, gemeinsam mit ihrem Kollegen Johannes Feichtinger herausgegeben, der seit kurzem das Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW leitet.

Herbert Matis und Arnold Suppan, "Sapere Aude. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften seit 1918". € 39,– / 449 S. Verlag der ÖAW, Wien 2022

Die Historiker Herbert Matis und Arnold Suppan wiederum, beide frühere Vizepräsidenten der ÖAW, konzentrieren sich in ihrer Darstellung unter dem Titel "Sapere Aude" – also dem Aufklärungsmotto "Wage es, weise zu sein" – auf die letzten 104 Jahre der Akademie seit 1918.

Die Akademie als Spiegelbild

Grundsätzlich betrachtet unterscheiden sich die Konjunkturen der Akademie wenig von denen der Wissenschaften in Österreich in den letzten 175 Jahren. Die Institution ist in gewisser Weise ein Spiegelbild der allgemeinen wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen der Zeit. So manche Entwicklung – sei es nun im Positiven oder im Negativen – trat an ihr freilich noch deutlicher und intensiver zutage als an den Universitäten.

Das beginnt bei ihrer verhältnismäßig späten Gründung: Am 14. Mai 1847 unterzeichnete Kaiser Ferdinand I. die Anträge zur Gründung einer kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (siehe auch die Chronologie am Ende des Texts). Bis auf Wien hatte bereits so gut wie jede europäische Metropole ihre Gelehrtengesellschaft. Auch an den Universitäten beginnt der große Aufschwung erst nach dem Jahr 1848, weit später als in Deutschland, Frankreich oder England.

Die erste Blütezeit der Akademie

In den folgenden Jahrzehnten wird Wien und damit auch die Akademie nachgerade zu einem Zentrum der "Spätaufklärung", sie hat bis zum Ersten Weltkrieg ihre – im internationalen Vergleich – wohl beste und einflussreichste Zeit. Dieser beispiellose Aufbruch nimmt im ersten Band der von Mazohl und Feichtinger umsichtig zusammengestellten Trilogie den Hauptteil ein.

Eröffnung des Instituts für Radiumforschung im Jahr 1910. Diese Einrichtung der Akademie war die weltweit erste, die sich dem damals neuen Phänomen der Radioaktivität widmete.
Foto: Archiv der ÖAW

In vielen Bereichen – von der Meteorologie bis zur Radiumforschung – erarbeitet sich die Akademie eine international führende Stellung. Die Gelehrtengesellschaft und ihre Mitglieder spielen in dieser Zeit aber auch eine wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Modernisierung des Landes, wie die Beiträge in diesem ersten Band eindrucksvoll zeigen, die allesamt einer Fachbegutachtung unterzogen und immer von zumindest zwei Fachleuten verfasst wurden.

Beginnender Niedergang

Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt dann Österreich die lange politische und ökonomische Krisenzeit, die auch massive Auswirkungen auf die Wissenschaft und damit auch auf die Akademie hat. Die Gelehrtengesellschaft gerät – so wie die Universitäten – in der Zwischenkriegszeit mehr und mehr ins rechtskonservative Fahrwasser, was sich auch daran zeigt, dass zumindest in der philosophisch-historischen Klasse in der Zwischenkriegszeit kaum mehr Wissenschafter jüdischer Herkunft als Mitglieder aufgenommen werden.

Die helle Fackel des Wissens und der Aufklärung, die von der Akademie vor 1914 stolz getragen wurde, weicht mehr und mehr den trüben Irrlichtern antidemokratischer, faschistoider und antisemitischer Tendenzen. Dass sich die Akademie wie auch die Unis vor 1938 nicht gegen diese oft zitierten Anfänge gewehrt haben, sondern diese vielmehr unterstützten, hätte in beiden Werken durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die Akademie in der NS-Zeit

Nach dem "Anschluss" 1938 muss die Akademie aufgrund dieser Vorgeschichte nur vergleichsweise wenige Mitglieder aus rassistischen oder politischen Gründen zum Austritt zwingen. Die Gleichschaltung, die unter dem Historiker und Akademiepräsidenten Heinrich Srbik vollzogen wird, dient auch Akademien im "Altreich" als Vorbild. Matis und Suppan widmen den Jahren 1938 bis 1945 "nur" knapp 50 Seiten, was auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass Matis 2013 einen Band zu diesem Thema mit herausgab.

Schonungsloser sind Mazohl und Feichtinger, der ebenfalls Mitherausgeber des Bandes im Jahr 2013 war: Immerhin gleich fünf Beiträge der insgesamt 20 Co-Autorinnen und -Autoren widmen sich auf fast 300 Seiten der NS-Zeit. Diese Kapitel zeigen auch Folgen, die an der ÖAW noch länger anhielten als an den Unis: Einige besonders belastete Forscher – wie Fritz Knoll, NS-Rektor der Uni Wien – waren zwar an den Hochschulen entnazifiziert worden, konnten aber an der Akademie eine zweite Karriere starten.

Kontinuitäten und späte Aufbrüche

Solche Kontinuitäten – verkörpert in der Person des ÖAW-Präsidenten Richard Meister – trugen auch dazu bei, dass sich an der ÖAW in vielen Fragen erst relativ spät eine abermalige Aufbruchsstimmung breitmachte. So dauerte es bis zum Jahr 1973, ehe die ÖAW mit Berta Karlik erstmals eine Wissenschafterin zum wirklichen Mitglied wählte. Den Frauenfragen ist im letzten Band der Trilogie immerhin ein ganzes Kapitel ("Störfall Gender") gewidmet.

Über die neuen Gründerzeiten der ÖAW, die ab Mitte der 1960er-Jahre langsam beginnen, berichten vor allem Matis und Suppan im Detail. Sie dokumentieren akribisch dutzende Instituts- und Kommissionsgründungen inklusive Personalia sowie die Strukturreformen ab den späten 1990er-Jahren.

Damit steht die ÖAW heute nicht nur als wichtigster außeruniversitärer Forschungsträger Österreichs da. Etliche dieser neuen Institute haben sich auch als international renommierte Forschungsstätten einen Namen gemacht. Ihre Rolle als zentrale intellektuelle Innovationskraft des Landes, die sie um 1900 Jahrhundert fraglos innehatte, die muss die ÖAW im 21. Jahrhundert aber erst noch wiederfinden. (Klaus Taschwer, 13.5.2022)