Wenn man aus der Küche hinausschaut, sieht die Welt kleinkariert aus. Die kleinen rechteckigen Solarzellen, die in das Fenster eingelassen sind, absorbieren einen Großteil der Sonneneinstrahlung, es fällt nur spärlich Licht an ihnen vorbei auf den Sichtbeton. Einige sind heller als andere. "Die sind nur aufgeklebt, für die Optik", sagt Johannes Hopf, Energiedesigner bei Drees & Sommer. "Die dunkleren sind die richtigen."

Foto: Drees & Sommer

Solarzellen in Fenstern? Das klingt nach Hightech. Und das ist es auch. Das Planungsbüro Drees & Sommer, das auch eine Zweigstelle in Wien betreibt, hat sich in Stuttgart ein neues Büro gebaut. Und dabei alles implementiert, was auch nur nachhaltig und smart riecht – und den Angestellten das Leben leichter machen soll. Die Solarzellen sind nur ein Anfang.

Und sie sind nicht alleine. Denn die kleinen in die Küchenfenster eingelassenen Helfer mussten angeschafft werden, um auch die letzten paar Prozent rauszukitzeln. "Das hier ist ein Plusenergiegebäude", erklärt Hopf. Das bedeutet: Es produziert selber mehr Energie, als es benötigt. Wenn auch nur knapp. Den Großteil entzieht die Photovoltaikanlage auf dem Dach der Sonne. Hinzu kommen weitere große Platten an der Fassade und natürlich die kleinen im Fenster. Außerdem hat man beim Bau ziemlich tief gebohrt, um auch ein wenig von der darunterliegenden Geothermie zu profitieren. Die überschüssige Energie? "Die speisen wir zurück ins Netz. In Zukunft wollen wir aber auch eine Batterie für schlechtere Zeiten anschaffen", sagt Hopf.

Foto: Drees & Sommer

Man hört nichts von der Autobahn

Um ein Plusenergiegebäude zu bauen, braucht es nicht nur eigene Energiequellen, sondern auch eine funktionierende Wärmedämmung. Außerdem liegt direkt neben dem neuen Büro die Autobahn A 831. Lärmstörungen sind also vorprogrammiert. "Wenn man beides in den Griff kriegen will, braucht man in der Regel eine Fassadendicke von 45 bis 55 Zentimetern", erklärt Hopf. Für OWP12, wie das Gebäude nach der Adresse Obere Waldplätze 12 auch genannt wird, hat man sich aber für eine sogenannte Vakuumisolierung entschieden. "Man kann sich das Gebäude also wie eine Thermoskanne vorstellen."

Zum Einsatz kommen hier das Dämmmaterial Calostat, Vakuumisolationspaneele sowie Gipsfaserplatten. Fassadendicke: neun Zentimeter, und die sind ein voller Erfolg. Denn von den hunderten Autos, die in einer Stunde wenige Meter am Konferenzraum vorbei über die Autobahn rauschen, hört man nichts.

Foto: Drees & Sommer

Neben der Energieerzeugung und -ersparnis wollte man bei Drees & Sommer auch auf Nachhaltigkeit setzen. Zusammen mit der Tochterfirma EPEA hat man sich dazu dem Cradle-to-Cradle-Prinzip verschrieben. Das folgt dem Ideal der Kreislaufwirtschaft: Biologische Produkte werden in einen biologischen Kreislauf zurückgeführt, technische Produkte in einen technischen Kreislauf. "Wir wollten ein Gebäude bauen, das wie ein Baum fungiert. Das sich unter anderem positiv auf beispielsweise die Luftqualität und damit auch die Arbeitsmoral auswirkt", sagt Pascal Keppler, Projekt-Ingenieur bei EPEA.

Wille zur Umsetzung nötig

Als Beispiel nennt er den speziellen Teppich, der nicht nur Feinstaub aus der Luft fängt und sammelt, sondern ohne den Einsatz von Kleber angebracht wurde. "Wenn wir den Teppich am Ende wieder zurückgeben, bekommen wir sogar Geld zurück. Alles ist Teil eines Kreislaufs." 70 Prozent des Gebäudes folgen laut Drees & Sommer dem Cradle-to-Cradle-Ansatz. "Wir wollen in den nächsten Jahren so weit sein, dass wir das auch zu 100 Prozent verfolgen können", sagt Geschäftsführer Steffen Szeidl.

Dass so ein nachhaltiges Gebäude auch eine teure Angelegenheit ist, will Szeidl so nicht stehen lassen. "Wir sind davon überzeugt: Die ökologische Variante ist auch die ökonomische Variante. Das sagen wir auch unseren Kundinnen und Kunden." Alle Technologien, die in OWP12 verbaut sind, seien kein Hexenwerk, sondern Elemente, die man auf dem freien Markt bekäme. Man müsse nur den Willen zur Umsetzung haben.

Braucht es das alles?

Auch bei Drees & Sommer hat man sich nach zwei Jahren Pandemie die Fragen gestellt, ob, wann, wie und in welchem Umfang die Angestellten wieder ins Büro zurückkehren. Vielleicht hat man deswegen das Gebäude rundum smart entwickelt, um sie wieder hierherzulocken. Fast alles kann über die App gesteuert werden, sei es nun das schlüssellose Türensystem, die Intensität des Lichts oder auch die Rollos. Sensoren in jedem Raum erkennen, wer sich wo gerade aufhält, welche Temperatur herrscht oder welche Bildschirme ausgeschaltet werden können. Alle Screens sind mit Microsoft Teams verbunden, Meetingräume bucht man über das Mailprogramm Outlook.

Da stellt sich die Frage: Braucht es all diesen smarten Kram? Was ist an einem Lichtschalter so falsch, dass es dafür eine App braucht? "Die Frage haben wir uns auch gestellt", sagt D&S-Innenarchitektin Rowena Johnston. "Und wir wollten mit diesem Gebäude einfach zeigen, was alles möglich ist. Ob man wirklich alle Features braucht oder nicht auch nur eine Auswahl reicht, das kommt dann immer auf die Kundenwünsche an."

Foto: Drees & Sommer

Das Gebäude wirkt ein wenig wie das Referat des Klassenstrebers. Ja, es ist alles perfekt, und man sollte sich eine Scheibe davon abschneiden. Aber ein bissl weniger hätte es auch getan.

Die Angestellten von Drees & Sommer, die das Privileg genießen, in diesem Gebäude arbeiten zu dürfen, nutzen Wörter wie "Stolz" und "emotionale Bindung", wenn sie über OWP12 reden. Trotzdem bleibt der große Ansturm aus. Beim Gang durch das Gebäude sind viele Plätze frei, man vermute eine Auslastung – vergleichbar mit den anderen Standorten – von rund 30 Prozent.

Für Geschäftsführer Szeidl geht es aber noch um etwas anderes: "Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, junge Talente am Arbeitsmarkt zu finden. Wenn man mit so einem Büro locken kann, dann ist das schon mal ein großer Punkt. Practice what you preach." Viel mehr Nachhaltigkeit und Smart Office als in Stuttgart gibt es derzeit in der DACH-Region nicht zu preachen. (Thorben Pollerhof, 13.5.2022)