Genau beobachtet wird das Vorgehen der EU-Kommission in Sachen Chatkontrolle.

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Wien – Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihren Entwurf für eine geplante Chatkontrolle vorgelegt. Um die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen, sollen Messenger wie Whatsapp, Signal und Telegram, aber auch Host-Provider zur Suche nach Missbrauchsmaterial verpflichtet werden. Zur Kritik daran unter anderem von Datenschützern und Bürgerrechtsorganisationen kommen auch Stellungnahmen aus dem Medienbereich.

Quellenschutz sei nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine wesentliche Voraussetzung für funktionierenden Journalismus, heißt es seitens des Presseclub Concordia. Deshalb sei eine sichere, vertrauliche Kommunikation für Journalisten und Journalistinnen essentiell: "Hier aber wird dystopischen Überwachungsmöglichkeiten und Missbrauch Tür und Tor geöffnet." Wenn die Chatkontrolle so umgesetzt werden sollte, sei das aus Concrodia-Sicht "höchst problematisch, und zwar für alle Bürger und Bürgerinnen: Alle werden damit automatisch zu Verdächtigen. Darüber hinaus halten wir die Auslagerung von Strafverfolgungsaufgaben an private Plattformbetreiber ganz grundsätzlich für hinterfragenswert."

Jede Analyse von Kommunikation stehe "naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf Privatsphäre und Datenschutz und potenziell auch zum Schutz journalistischer Quellen", erklärte VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger auf STANDARD-Anfrage zum Verordnungsentwurf. Eingriffe in den Schutz journalistischer Quellen lehne man "prinzipiell ab", andererseits anerkenne man, dass den Strafverfolgungsbehörden gerade gegenüber den Plattformdiensten für das Sharen von Content wirksame Mittel zur Prävention und Aufklärung schwerer Verbrechen, wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern und der Verbreitung von Aufnahmen solcher Verbrechen, an die Hand gegeben werden müssen. Den Gesetzgebungsprozess werde man "in Abstimmung mit unseren europäischen Dachverbänden verfolgen und erforderlichenfalls gemeinsam mit unseren Partnerverbänden Regelungsvorschläge zur Wahrung des Schutzes journalistischer Quellen unterbreiten".

Kritik an Hintertür

Datenschützer hatten bereits im Vorfeld bereits die Alarmglocken geläutet. Das Vorgehen könnte Strafverfolgungsbehörden eine Hintertür zum Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten öffnen, lautete die Kritik. "Der Vorschlag der EU-Kommission vermeidet heikle Entscheidungen, die große Auswirkungen auf die Privatsphäre haben können", analysierte der Datenschutz-Experte Alexander Fanta von der deutschen Nachrichtenseite netzpolitik.org. "Die Frage, ob einzelne Plattformen wie Facebook private Nachrichten ihrer Nutzer durchleuchten müssen, wird an die Behörden der Mitgliedsstaaten delegiert."

Auch lasse die EU-Kommission offen, "welche Technologie zum Einsatz kommt. Damit spielt die Kommission den Ball an die Verwaltungsebene weiter – ein Ausweichmanöver, das Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen soll", erklärte der Experte.

Politische Reaktionen

"Dem Rat und dem Europaparlament genau auf die Finger schauen", wollen auch die Grünen: "Natürlich wollen alle Kinder schützen, natürlich wollen alle Terror bekämpfen, gerade deshalb dürfen diese wichtigen Argumente nicht zum PR-Element werden. Die Überwachung all unserer Chats ist dafür zu sensibel", so Michel Reimon, Europasprecher der Grünen.

Große Bedenken äußerte auch der stellvertretende Neos-Klubobmann und Datenschutzsprecher Niki Scherak: "Das geplante Vorgehen stellt alle Internetnutzer unter Generalverdacht und gefährdet die freie Kommunikation und die Privatsphäre aller", warnt Scherak in einer Aussendung. "Wer heute nach einem Begriff suchen kann, kann morgen nach allem suchen." (red, APA, 11.5.2022)