Moritz Schell

Elke Hesse, die Direktorin des im Dezember 2012 eröffneten Wiener Sängerknaben-Konzertsaals am Augartenspitz, präsentierte das Programm der Jubiläumssaison 2022/23. Sie bietet elf Zyklen, drei neue Formate und 52 Abo-Vorstellungen "aus allen Genres und für alle Altersgruppen". es ist aber eine besondere Saison, man feiert nämlich 10. Geburtstag und hofft, die Einbrüche die Corona verursacht hat, wieder aufholen zu können.

Auch wirtschaftlich schneidet man in der laufenden Spielzeit bisher am schlechtesten ab. "In der Saison 2020/21 haben die staatlichen Hilfen gut gegriffen und ein ausgeglichenes Budget gebracht, die heurige Saison ist wirtschaftlich äußerst schwierig", so die Leiterin. Das Gesamtbudget betrage 2,4 Mio. Euro, davon werden 50 Prozent erwirtschaftet. "Aber wir haben viel gelernt, spontan und fantasievoll und ideenreich auf die momentanen Gegebenheiten zu reagieren", betonte Hesse.

Zu den Zyklus-Novitäten zählen "Masters & Students" und "Michael Schades Musiksalon" mit "Liedern für jeden Gusto". Auf der Künstlerliste finden sich u.a. Tobias Moretti, Karl Markovics, Sophie Heinrich, Daniel Ottensamer, Franz und Matthias Bartolomey, Timna Brauer, Christian Altenburger, Benjamin Schmid, Sona MacDonald, Johannes Krisch, Matthias Schorn, das Minetti-Quartett – und natürlich die Wiener Sängerknaben. 2023 feiern sie ihren 525. Geburtstag. Der 10. Geburtstag des MuTh wird am 14. Dezember mit einem Festkonzert mit Volkhard Steude und dem MuTh Jubiläumsensemble begangen.

Standard: Zehn Jahre MuTh, wie schwer war es, neben den großen Häusern, die ja sehr viele Programme anbieten, ein Angebot aufzubauen?

Hesse: Es ist natürlich eine riesige Herausforderung, ein Haus komplett neu aufzubauen und in eine reichhaltige Kulturlandschaft wie jene in Wien zu implementieren. Für mich war das Wichtigste, ein offenes Haus ohne Berührungsängste und nah am Publikum zu kreieren, das außerdem schnell, flexibel und ideenreich reagieren kann. Das hat sich gerade in den Corona-Zeiten bewährt, da wir ganz rasch eigene Internetformate kreieren konnten und auch viele Konzerte gestreamt haben. Diese Flexibilität und ein Haus ohne Schwellen und Schranken ist inzwischen unser USP.

In der Programmierung haben wir uns von Beginn an auf den heimischen Markt und natürlich aufgrund des Saales und seinen Gegebenheiten stark auf die Kammermusik konzentriert. Dank der vielen technischen Möglichkeiten hat sich das Programm mit "Kammermusik plus" und den anderen neuen Formaten dann kreativ, rasch und sehr organisch weiterentwickelt. Dafür muss man natürlich auch Augen und Ohren offen halten, um sich als spannendes Nischenprodukt zu etablieren – etwa auch als Haus für die vielen diversen Wiener Communities.

Standard: Was hat sich in der Zeit an Ideen erfüllt, was noch nicht so?

Hesse: Das MuTh als Haus der Nähe und Offenheit für alle zu etablieren, hat sich erfüllt. Dazu gehört auch die Verbindung von Jung und Alt, wenn man sieht, dass in einer "normalen" Saison etwa 128 Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Familien rund 160 Veranstaltungen für Erwachsene gegenüberstehen. Was ich mir für die Zukunft noch wünsche, ist, dass sich das MuTh noch stärker im Bewusstsein der Stadt etabliert und wirklich jeder weiß, dass das MuTh ein Haus der Visionen, des Neuen für jeden ist.

Standard: Was muss ein Künstler, eine Künstlerin haben, um fürs MuTh infrage zu kommen?

Hesse: Ein Künstler oder eine Künstlerin muss einfach den Mut für Ungewöhnliches haben. Sie haben hier die Möglichkeit, vieles vor Publikum zu präsentieren, was anderswo so nicht möglich wäre. Meine einzigen Vorgaben sind: Worauf sie Lust haben und was für das Haus gut passt.

Standard: Welche neuen Zyklen gibt es?

Hesse: Für "Masters & Students" habe ich einige unserer Künstler und Künstlerinnen, von denen viele auf Universitäten unterrichten, eingeladen, sich mit ihren besten Schülern und Schülerinnen vorzustellen. Es freut mich, dass ich Größen wie Florina Boesch, Flip Phillip, Matthias Bartolomey, Christian Altenburger oder Matthias Schorn dafür begeistern konnte.

Nachdem sich der Name "MuTh" aus den Wörtern Musik und Theater zusammensetzt, bekommt auch das Theater kommende Saison die Reihe "Kammerstücke". Wir haben hochkarätige Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Sona MacDonald, Johannes Krisch und Michael Dangl, und Paarungen wie Elena Uhlig und Fritz Karl eingeladen, Musik und Theater zu mixen und diese Mischungen auf die MuTh-Bühne zu bringen.

Im dritten Zyklus stehen erneut ein etablierter Profi und der Nachwuchs auf der Bühne: Michael Schade lädt zu vier ganz unterschiedlichen Programmen die Jungen in seinen "Musiksalon", wobei auch ein kulinarischen Aspekt stimmig ins Spiel kommt.

Standard: Sucht man bewusst den Kontrast zu den großen Häusern?

Hesse: Ich glaube, der Unterscheid ergibt sich von allein, den muss man nicht suchen. Den macht allein schon das deutlich kleinere Haus aus, mit seiner wunderbaren modernen Architektur. Ich habe ein gutes Einvernehmen mit den Intendanten von Musikverein und Konzerthaus, bewundere deren Arbeit, und hoffe, dass es auch umgekehrt so ist.

Standard: Wie hat euch Corona beeinflusst – und euer Publikum?

Hesse: Corona, um beim Positiven zu bleiben, hat uns noch flexibler gemacht. Wir haben verschiedenste Formate entwickelt, die natürlich vor allem den digitalen Bereich betrafen, aber für das zukünftige Geschehen mitbestimmend sind, wie etwa die sehr erfolgreich begonnene Kooperation mit der Klassikplattform myfidelio. So konnten wir unter anderem unsere Kinderopern, wie etwa "Die Reise des kleinen Prinzen" von Gerald Wirth mit den Wiener Sängerknaben direkt in die Klassenzimmer, zu immerhin 985 Schulklassen mit rund 19.700 Schülerinnen und Schülern in drei Nationen bringen. Wir müssen auch weiterhin bewusst im Hinterkopf behalten, dass diese Pandemie wohl noch nicht beendet ist und lernen, in verschiedensten Szenarien zu denken.

Standard: Und eure Finanzen?

Hesse: Natürlich hat die Pandemie in dieser Saison einen wirtschaftlichen Einbruch gebracht. Wir haben in der letzten Saisonplanung nicht damit gerechnet, dass noch einmal ein Lockdown auf uns zukommt und dass die Zuschauer und Zuschauerinnen danach derart verunsichert und daher zaghaft im Besuch sein würden. Das wirkt sich, so wie überall, auf die Finanzen aus. Ich bin daher sehr glücklich, dass die Pühringer Gruppe hinter mir steht und das auch mitträgt.

Standard: Welche Programmpunkte der kommenden Saison wären besonders bemerkenswert?

Hesse: Der Höhepunkt der kommenden Saison wird natürlich unser großes 10 Jahres-Fest, das wir am Eröffnungstag, dem 9. Dezember, mit allen feiern wollen. In Programmpunkten, die zeigen, was das MuTh seit damals ausgemacht hat und wohin wir in den nächsten zehn Jahren gehen wollen. Dieser Kurs prägt auch das Programm der ganzen nächsten Saison, mit einem Best of all jener Künstler und Künstlerinnen, die dem Haus lange verbunden sind. Aber auch großartigen MuTh-Debütant:innen, auf die wir uns besonders freuen, wie etwa Tobias Moretti, der gemeinsam mit dem Eggner Trio die Streichtrios von Werner Pirchner präsentiert.

Und Karl Markovics, der sich musikalisch durch die Höhen und Tiefen der Wirthauskultur liest, beehrt uns wieder. Ausnahmezustand ist ebenso angesagt, wenn wir Anfang Dezember alle Tanzbegeisterten mit Tango5 rund um Sophie Heinrich zu einer heißen Tango-Nacht, einer echten Milonga auf die MuTh-Bühne bitten. (Ljubisa Tosic,1.5.202)