Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen Heinrich G., dem Staatsanwältin Julia Kalmar den Mord an seiner seit 2005 verschwundenen Gattin vorwirft, bringt widersprüchliche Zeugenaussagen.

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Wien – Wenn die 31-jährige Tochter von einem Tag auf den anderen spurlos verschwindet und deren zweieinhalbjähriges Kind bald darauf beim Spielen im Selbstgespräch sagt "Der Papa hat recht geschimpft, die Mama ist umgefallen, dann hat er sie hinausgetragen", könnte das ein wichtiger Hinweis sein, sollte man meinen. Der Vater der seit Dezember 2005 vermissten Elisabeth G. erzählte über dieses angebliche Erlebnis bei seiner Einvernahme bei der Polizei Ende März 2006 allerdings nichts. Erst im Vorjahr, nachdem die Cold-Case-Einheit des Bundeskriminalamtes den Fall neu aufgerollt hatte, schilderte der Vater den Monolog. Und er bleibt auch vor dem Geschworenengericht, das über die Mordanklage gegen den 65-jährigen Heinrich G., den Witwer der 2018 für tot erklärten Elisabeth G., entscheidet, dabei. Er könne sich daran erinnern, als ob es gestern gewesen sei, beteuert er am zweiten Verhandlungstag.

Vorsitzende Claudia Zöllner ist allerdings zu Recht skeptisch, warum der Zeuge so ein wesentliches Detail erst 16 Jahre nach dem Verschwinden seiner Tochter zu Protokoll gibt und nicht unmittelbar danach. Eine wirkliche Erklärung dafür kann der Vater nicht liefern: "Ich habe mir gedacht, der Aussage einer Zweieinhalbjährigen wird man keine Bedeutung zumessen", sagt er einmal, dann wieder: "Aus irgendeinem Grund ist das untergegangen."

Verschiedene Aussagen zu Kindesverhalten

Verteidiger Thomas Reissmann ist damit nicht zufrieden. Er zitiert dem Zeugen dessen eigene Aussage aus dem März 2006: "Auffälligkeiten am Kind sind uns nie aufgefallen, sie hat auch über einen Streit der Eltern nie etwas gesagt, gezeigt oder gezeichnet." – "Wie gesagt, das ist vielleicht untergegangen", kann der Zeuge dazu nur nochmals anmerken. "Moment, das sind aber schon zwei Paar Schuhe. Es ist ja offensichtlich darüber gesprochen worden", hält die Vorsitzende dem Zeugen daraufhin vor, erhält aber keine Antwort.

Auch ein angeblicher Besuch der Familie beim Angeklagten, wenige Tage nach dem letzten Kontakt mit Elisabeth, ist deren Vater erst im Vorjahr wieder eingefallen. Damals soll G. in der Garage gestanden sein und auf einer Plane Beton angemischt haben – angeblich, um Heizkörper einzumauern. "Es schien mir damals vielleicht nicht so wichtig", kann der Vater vor Gericht nur mutmaßen.

Ein weiterer Themenkomplex interessiert Zöllner brennend. Der Vater hatte am 6. Dezember 2005 um 16.03 Uhr letztmalig mit seiner Tochter telefoniert, die mit ihrem Kind auf dem Weg zu G. war, um noch letzte Gegenstände aus der alten Wohnung zu holen. Am 9. Dezember, nachdem Elisabeth drei Tage nicht erreichbar gewesen war, ging die Familie in Wien zur Polizei, um eine Vermisstenmeldung zu erstatten. Beim ersten Versuch wurden sie laut Vater von Beamten abgewimmelt, erst ein zweiter Anlauf am Abend war erfolgreich.

Bei Vermisstenanzeige Selbstmord befürchtet

Was die Familie damals vermutete? "Selbstmord wird befürchtet wegen bevorstehender Scheidung", wurde festgehalten. Ebenso wie "machte bereits mehrfach Andeutungen" bezüglich eines Suizides. Vor Gericht schildert der Vater dagegen nur einen Fall: Zu Weihnachten 2004 habe seine Tochter von Scheidung und Selbsttötung gesprochen – durchaus konkret über ein Ertränken in der Alten Donau. "Der einzige Grund, warum sie nicht ins Wasser gegangen ist, war ihre Tochter", schließt der Zeuge einen Suizid seiner Tochter heute aber aus. Gleichzeitig sagt er auf Nachfrage der Vorsitzenden, was sich die Angehörigen gedacht hatten, als Elisabeth nicht mehr erreichbar war: "Wir haben das Schlimmste befürchtet. Dass sie sich etwas angetan hat." Er habe auch gewusst, dass sein Kind Psychopharmaka einnahm und in Therapie war.

Die im Herbst 2002 begonnene Beziehung mit dem Angeklagten habe seiner Tochter jedenfalls nicht gutgetan, ist sich der Vater sicher. "Sie war sehr unglücklich und wesensverändert", erinnert er sich. 2005 habe sich ihr Zustand weiter verschlechtert, im Spätsommer "hat sie sich die geliebten langen Haare schneiden lassen", etwa einen Monat später reichte sie die Scheidung ein. Obwohl "eine intakte Familie ihr Wunschtraum war". Ein interessantes Detail gibt der Vater auch noch preis: Elisabeth soll in den drei Monaten vor ihrem Verschwinden kein Gehalt mehr bekommen haben, daher hätten die Eltern die Möbel für ihre neue Wohnung ebenso finanziert wie die Miete. Noch am 6. Dezember habe er ihr 450 Euro für einen Langlaufurlaub überwiesen, den sich die Architektin sonst nicht hätte leisten können.

Familie fordert 120.000 Euro Schmerzengeld

Der Bruder der Verschwundenen, der wie sein Vater und seine Schwester je 40.000 Euro Schmerzengeld von G. fordert, versichert dagegen in seiner Aussage, seine Schwester sei nicht suizidgefährdet gewesen. Allerdings sei sie bei der Taufe ihres Kindes im Jahr 2004 schon sichtbar abgemagert gewesen, die für sie sonst typische Fröhlichkeit sei weg gewesen. Von einem Gespräch über Selbstmord habe er zu Weihnachten 2004 aber nichts mitbekommen, es habe ihm auch kein anderes Familienmitglied etwas davon erzählt.

Woran er sich dagegen deutlich erinnern kann, war ein Treffen mit dem Angeklagten im Jahr 2010. Im Buffet der Palliativstation, auf der Elisabeths Mutter im Sterben lag, habe man darüber verhandelt, wie oft man die Nichte beziehungsweise Enkeltochter sehen könne. "Da hat es immer Probleme gegeben", G. soll das Kind von der mütterlichen Familie ferngehalten haben, sagt der Bruder dazu. "Er hat damals im Spital gesagt, dass Elisabeth geistesgestört ist oder war", schildert der Zeuge. Außerdem habe G. bei dem Gespräch immer wieder provokant bei unpassenden Gelegenheiten gegrinst, empört sich der Bruder.

Grafik mit Mobilfunkabdeckung einzig neues Beweisstück

Der Beamte des Bundeskriminalamtes, der den Fall übernommen hat, verrät als Zeuge Überraschendes. Vorsitzende Zöllner will von ihm wissen, was die Cold-Case-Einheit eigentlich für neue Beweise gesichert hat. Denn in den Jahren 2006 und 2007 waren Mordermittlungen gegen den Angeklagten jeweils eingestellt worden. Die verblüffende Antwort: Die grafische Aufarbeitung der von Anfang an bekannten Rufdaten des Handys der Verschwundenen ist das Beweismittel, das zur nunmehrigen Anklage geführt hat.

Denn dieses Mobiltelefon befand sich vom 6. bis zum 9. Dezember immer im Gebiet von drei Sendemasten, in deren Schnittpunkt das Haus des Angeklagten liegt. Das Problem dabei: Insgesamt decken die Sender den halben Bezirk Donaustadt ab, darunter auch den Bereich der Alten Donau. Der Ermittler betont aber, dass es auffällig sei, dass Elisabeth angeblich in den drei Tagen nur mit G. telefoniert und geschrieben, Kontaktversuche ihrer Familie aber ignoriert habe. Staatsanwältin Julia Kalmar vermutet, dass der Angeklagte durch Anrufe bei sich selbst eine falsche Spur gelegt hat. G. dagegen behauptet, Elisabeth zuletzt am Morgen des 7. Dezembers gesehen zu haben, als sie sich schlussendlich ihre Habseligkeiten bei ihm abgeholt habe und zu einem Unbekannten ins Auto gestiegen sei.

Erfolglose Suche nach Leiche

Der Bundeskriminalamts-Experte berichtet auch, man habe auf der Suche nach einer Leiche sogar eine mit Wasser gefüllte aufgelassene Senkgrube abpumpen lassen und den Garten mit Sonden abgesucht. Das Haus, in dem G. damals das Erdgeschoß gemietet hatte, sei 2009 verkauft worden, der neue Besitzer habe es komplett ausgehöhlt, menschliche Überreste seien dabei nicht aufgetaucht. Nach dem Hinweis einer Bekannten des Angeklagten, wonach er bei einem Spaziergang einmal erzählt habe, er habe seinen toten Hund in Puchberg am Schneeberg vergraben, habe man auch dort mit Hunden nach Elisabeths Leiche gesucht, das Gebiet sei aber zu groß gewesen.

Die Frage einer Geschworenen, ob man die letzten angeblichen SMS-Nachrichten der Verschwundenen linguistisch untersuchen habe lassen, verneint der Kriminalist. Er habe zwar daran gedacht, ein Fachmann habe ihm aber gesagt, die Botschaften seien zu kurz, um sichere Schlüsse ziehen zu können. Auf die Frage von Verteidiger Reissmann referiert der Zeuge auch über die Vermisstenstatistik: Jährlich werden in Österreich 11.000 entsprechende Anzeigen erstattet, 95 bis 98 Prozent der Fälle könnten innerhalb weniger Wochen geklärt werden. Dennoch fehlt derzeit von 500 Menschen jede Spur.

Der Beamte war es übrigens auch, der im Jahr 2021 die Vernehmung mit Vater, Bruder und Schwester der Verschwundenen durchgeführt hat. Das Ungewöhnliche daran: Alle drei Zeugen befanden sich im selben Raum und hörten jeweils die Aussagen der anderen.

Der für vier Tage anberaumte Prozess wird am Montag mit weiteren Einvernahmen, darunter der Tochter der Verschwundenen, fortgesetzt. (Michael Möseneder, 11.5.2022)