Arbeitsminister Martin Kocher bekommt einen Teil der Agenden des Wirtschaftsministeriums dazu. Das finden viele nicht gut.
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Arbeitsminister Martin Kocher steht nach der Zuschlagung eines Teils der Agenden des Wirtschaftsministeriums unter Rechtfertigungsdruck. Der parteilose Minister, der auf einem ÖVP-Ticket in der Regierung sitzt, sucht Bedenken zu zerstreuen. Die Sorge, Arbeitnehmerinteressen kämen womöglich zu kurz, seien unbegründet. "Natürlich wird die Arbeitnehmerinnen-, Arbeitnehmerseite eine ganz große Rolle spielen. Dafür verbürge ich mich, das ist ganz wichtig", versicherte er in der "ZiB 2".

Nach allem, was derzeit über die geplante Arbeitsmarktreform zu hören ist, klingt das glaubwürdig. Eingebunden sind alle wichtigen Player, unter anderem die Sozialpartner.

Die Reform ist eines der wichtigen Vorhaben des Verhaltensökonomen. Einerseits gilt es, Betriebe davon zu überzeugen, dass sie selbst die nötigen Anstrengungen unternehmen, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden und zu halten – etwa mit flexiblen Arbeitsbedingungen oder Weiterbildungsangeboten. Andererseits müssen passende Aus- und Weiterbildungsprogramme von staatlicher Seite konzipiert und finanziert werden, um auch Beschäftigten, die ihre Erwerbsarbeit verloren haben, zu neuen Chancen zu verhelfen. Womit auch der Wirtschaft gedient ist, die teilweise unter Arbeitskräftemangel leidet.

Andererseits muss der Strukturwandel im Lichte des abnehmenden Arbeitskräftepotenzials und der Digitalisierung gestaltet werden – und das bei sich gleichzeitig abschwächender Konjunktur. Das geht nur im Konsens. Immer geht es dabei auch um gute Bedingungen für die Wirtschaft. Denn Arbeitsplätze schaffen die tausenden Betriebe in Österreich, nicht die Politik. Dafür braucht es endlich eine Reform der Gewerbeordnung. Hier wären Zurufe aus der Wirtschaft bitter notwendig. Auch die duale Ausbildung (Lehre) braucht einen Modernisierungsschub, die notorisch eigenkapitalschwachen Betriebe können das nicht allein, zu komplex sind die Anforderungen moderner Technik. Nicht zuletzt geht es ums Geld, es braucht Stimuli und effizienten Einsatz von Förderungen. Am Ende profitieren von einer resilienten Wirtschaft auch die Arbeitnehmer.

Die Kritiker sind sich einig: Die Zusammenlegung von Arbeit und Wirtschaft in einem Ministerium sei "ein Riesenfehler", wie etwa SPÖ-Vize-Klubobmann Jörg Leichtfried meint. Er fürchtet, dass "die Arbeitnehmerinteressen vernachlässigt" würden.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch, im Brotberuf Chef der Bauarbeiter-Gewerkschaft, findet einen Beleg, dass dies für die Interessen der Arbeitnehmer nichts Gutes bedeutet. "Unter Schwarz-Blau I wurde unter Beweis gestellt, dass die Zusammenlegung der Ressorts Arbeit und Wirtschaft zu einer nachhaltigen Verschlechterung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geführt hat", kritisierte er. Ins gleiche Horn stößt Renate Anderl. Die Arbeiterkammer-Präsidentin, die sich für eine weitere Funktionsperiode ab 2024 bewirbt, hätte gleich Arbeitsminister Martin Kocher arbeitslos gemacht und Arbeits- und Sozialministerium zusammengelegt.

An den Argumenten ist was dran. Die Konsensfindung zwischen Arbeit und Wirtschaft ist nicht einfach. Für die Zusammenlegung der bis dahin getrennten Ressorts hagelte es bereits im Jahr 2000 Kritik, als ÖVP-Minister Martin Bartenstein das fusionierte Ressort übernahm (bis 2008). Er war es, der im Zuge der EU-Osterweiterung den Zugang für Fachkräfte aus dem Osten zum Arbeitsmarkt ausweitete, was das Arbeitskräftepotenzial tatsächlich deutlich erhöhte, was wiederum den Lohndruck erhöhte. Betrieben, die Arbeitskräfte suchten, kam dies entgegen. Nicht nur der damalige rote Sozialminister Erwin Buchinger ritt dagegen heftige Attacken.

Auch Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitssuchende wurden stetig verschärft – angeschoben von Zurufen aus der Wirtschaft, die in der Hochkonjunktur nach Arbeitskräften rief. Mit der Finanzkrise drehte sich die Lage ins Gegenteil, aus dem Mangel wurde ein Überschuss – diesfalls an Arbeitslosen.

Nicht zu vergessen die Pensionsreform 2003, die vom ÖGB heftig bekämpft wurde – auch auf der Straße. Mit jeder Hürde für die Frühpension wurde es für Ältere härter auf dem Jobmarkt. Verhaltensökonom Kocher wird diesem Problem mit Anreizen für beide Seiten zu Leibe rücken müssen. (rebu, 12.5.2022)