Bereits im Februar machten Pfleger und Ärztinnen vor dem Wiener AKH auf die Missstände aufmerksam – sie fordern umfassende Veränderungen.

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Wenn man Nora nach einem der härtesten Momente in ihrem Berufsalltag als Krankenpflegerin auf einer Geriatriestation fragt, muss sie nicht lange nachdenken: "Das war, als wir bemerkt haben, dass ein Patient, der für unsere Station mit 68 jung war, allein im Rollstuhl sitzend verstorben ist." Man hört der 26-Jährigen an, dass sie das einsame Sterben des Mannes noch immer mitnimmt. "Wir haben viele Palliativpatienten, und die schlimmsten Momente sind die, wo ich keine gute Sterbebegleitung leisten kann. Man denkt darüber nach, dass er möglicherweise nicht sanft eingeschlafen ist und ob er Angst gehabt hat. Auch um die Angehörigen können wir uns nicht ausreichend kümmern."

Warum es dazu kam, darüber muss Nora, die ihren echten Namen aus Angst vor beruflichen Nachteilen nicht in der Zeitung lesen will, auch nicht lange nachdenken: "Wir waren an dem Tag nur zu zweit, weil wegen unserer chronischen Unterbesetzung eine Mitarbeiterin auf einer anderen Station aushelfen musste." Und diese chronische Unterbesetzung sei schon lange vor der Pandemie ein großes Problem gewesen, betont Nora.

Keine Dankesworte

Personalnot, Überlastung, Burn-out: Der Tenor der Beschäftigten im Pflege- und Gesundheitsbereich ist überall gleich. Am Donnerstag, den Internationalen Tag der Pflege, wollen sie daher ihren Unmut bundesweit auf die Straßen tragen. In Wien, Linz, Klagenfurt, Graz und Innsbruck hat die Offensive Gesundheit, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Arbeiterkammer (AK), Wiener Ärztekammer und Österreichischem Gewerkschaftsbund (ÖGB), zu großangelegten Protesten aufgerufen. Worte des Dankes und der Wertschätzung könne sich Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Tag der Pflege sparen, ließ das Bündnis wissen.

Als hätte die Bundesregierung auf den Appell gehört, kündigte sie Mittwochabend die Umsetzung der seit langem ausstehenden großen Pflegereform an. Wie diese aussehen soll, will sie am Donnerstagvormittag, noch vor Protestbeginn, präsentieren.

Mehr Ressourcen

Dass es bereits "fünf nach zwölf" ist, wusste auch schon Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Bereits Ende Februar startete die Offensive Gesundheit, begleitet von Großdemos, eine parlamentarische Bürgerinitiative. Gefordert werden mehr Ressourcen für das Gesundheitswesen, mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung sowie eine Aus- und Weiterbildungsoffensive. 70.000 unterstützen diese Anliegen bisher – bis Juni kann man unterzeichnen.

Die Demos sollen "ein weiterer Schritt unserer Kampfmaßnahmen sein", sagt Beatrix Eiletz, Betriebsratschefin der steirischen Volkshilfe. "Wir fordern seit Jahren bessere Bedingungen und bessere Bezahlung. Mittlerweile stehen tausende Betten leer, weil wir nicht genug Personal haben. In der Steiermark sind von insgesamt 13.000 Betten im Pflegebereich derzeit ungefähr 3.000 gesperrt", erzählt Eiletz. Dabei verschärft sich die chronische Unterbesetzung immer weiter, weil immer mehr in der Kranken- und Altenpflege tätige Menschen ausgebrannt sind und kündigen.

Belastet in der Freizeit

Wenn Krankenpfleger Thomas Nindl von seiner Freizeit erzählt, stellt sich die Frage, ob sie noch als ebendiese durchgeht. Seit längerer Zeit suchen die meisten Abteilungen der Klinik Landstraße, wo Nindl seit 30 Jahren arbeitet, Personal. Erfolglos. Deswegen und durch Krankenstände fielen in den vergangenen zwei Jahren bereits einige Urlaube ins Wasser. Selbst wenn Nindl, der auch Interessenvertreter ist, drei Tage am Stück freihat, geistert die Arbeit im Hinterkopf. "Wir müssen ständig damit rechnen, einspringen zu müssen. Diese Dienstplansicherheit fehlt einfach."

Die Unmöglichkeit der Freizeitplanung ist nur ein Grund für den Massenexodus aus der Gesundheitsbranche. "Früher haben die, die kündigen, noch branchenintern gewechselt", erinnert sich Eiletz, "in letzter Zeit hatte ich Kollegen, die jetzt als Gabelstaplerfahrer im Baumarkt arbeiten oder als Kassiererin im Supermarkt, viele gehen in den Handel oder zur Post. Und da rede ich von diplomierten Arbeitskräften!"

Auch in den steirischen Spitälern sieht es nicht besser aus als in Pflegeheimen. Hier waren vor rund einem Monat 700 Betten gesperrt, nun seien es um die 500, sagt der Kages-Zentralbetriebsratschef Michael Tripolt und betont: "Corona war da nur ein Brandbeschleuniger."

Für Nora ist neben der Überarbeitung, der Freizeitsituation und der schlechten Bezahlung auch die Aggression dementer oder deliranter Patienten belastend. "Bauchtritte, Ohrfeigen, Kratzer und Grapschen im Intimbereich" gehörten zum Job, sagt sie, "wenn du zu zweit bist, kannst du so etwas früher abfangen."

"Unmenschliche" Behandlung

Wenn Personal durch solche Situationen gefährdet wird und Qualitätseinbußen oder gefährliche Situationen für Patientinnen und Patienten drohen, gibt es das Instrument der Gefährdungsanzeige. Thomas Nindl hat von diesen schon unzählige geschrieben. "Ich kenn aber auch genug Leute, die sagen, das traue ich mich nicht." Zwar sei bisher alles noch gutgegangen, aber "wenn Menschen mit der Ausscheidung, dem Essen oder der Pflege warten müssen, ist das unmenschlich". Ein Ausweg aus der Situation sei nur durch Berufsattraktivierung und bessere Rahmenbedingungen möglich.

Nora habe schon ihre Stunden reduziert, aber das Maß sei nach sechs Jahren – was die durchschnittliche Verweildauer der Diplomierten in ihrem Job sei – voll, sagt Nora. Obwohl sie den Beruf eigentlich liebe und bis zur Pension bleiben könnte, habe sie sich entschieden: "Ich werde kündigen. Die Bedingungen sind entwürdigend, und es gibt null Wertschätzung."

Ob sie auf die Demo gehe? "Ich war schon einmal auf einer, aber es ist schwierig. Wenn wir uns wehren, wehren wir uns nicht, weil wir können nicht streiken wie zum Beispiel die Metaller. Wenn ich zehn Minuten von meiner Station weggehe, weiß ich nicht, was dort mit den Menschen alles passiert. Viele würden vielleicht gern demonstrieren, aber können gar nicht." (Colette M. Schmidt, Elisa Tomaselli, 12.5.2022)