Am Donnerstag wurde die Pflegereform präsentiert, über 70.000 zusätzliche Pflegekräfte will man so bis 2030 gewinnen.

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Dass es dramatisch um die Pflege steht, ist bekannt. Personal und Geld fehlen, der Beruf ist wenig attraktiv, der Bedarf steigt stetig an. Regierung für Regierung arbeitete deswegen an einer Pflegereform, jahrelang stand sie aus. Die Pandemie verschärfte die Lage zusätzlich, an den Arbeitsbedingungen änderte sich dennoch wenig.

Nun präsentierte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) gemeinsam mit August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne) den ihrer Ansicht nach großen Schwung. Die Eckpunkte:

  • Maßnahmen für den Pflegeberuf

Das Personal soll mehr Geld bekommen, genauer einen monatlichen Gehaltsbonus – voraussichtlich. Für die Jahre 2022 und 2023 stellt der Bund insgesamt 520 Millionen Euro zur Verfügung. Profitieren sollen davon Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger und -pflegerinnen, Pflegeassistenten und -assistentinnen und Pflegefachassistenten und -assistentinnen. Dieser Gehaltsbonus ist zunächst auf zwei Jahre befristet.

Dazu soll eine "Entlastungswoche" kommen, auf die Pflegekräfte ab ihrem 43. Geburtstag Anspruch haben sollen – unabhängig davon, wie lange sie schon im Betrieb sind. Außerdem soll es für alle Beschäftigten in der stationären Langzeitpflege künftig pro Nachtdienst zwei Stunden Zeitguthaben geben. Pflegeassistenten und -assistentinnen sollen mehr Kompetenzen bekommen.

Zugewanderte ausgebildete Fachkräfte sollen einfacher eine Arbeitserlaubnis bekommen, auch die Anerkennung von Ausbildungen, die im Ausland gemacht wurden, soll "entbürokratisiert" werden.

  • Verbesserungen bei der Pflegeausbildung

Menschen in der ersten Pflegeausbildung sollen mindestens 600 Euro Ausbildungszuschuss pro Monat bekommen. Umsteiger und Wiedereinsteigerinnen sollen ein Pflegestipendium von 1.400 Euro im Monat bekommen, wenn sie in einer vom AMS geförderten Ausbildung sind. Für Jugendliche soll es als Modellversuch eine Pflegelehre in ganz Österreich geben.

  • Maßnahmen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige (inklusive 24-Stunden-Betreuung)

Das Pflegegeld für demente Personen oder jene mit schweren psychischen Behinderungen soll erhöht werden, davon sollen 8.500 Menschen profitieren. Der Rechtsanspruch auf Pflegekarenz soll von einem auf drei Monate erhöht werden. Voraussetzung ist, dass dieser Rechtsanspruch in einem Kollektivvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vorgesehen ist. Die erhöhte Familienbeihilfe soll nicht mehr auf das Pflegegeld angerechnet werden.

Auch für pflegende Angehörige soll es Erleichterungen geben: Die sollen ab 2023 1.500 Euro als jährlichen Bonus bekommen, sofern sie den größten Teil der Pflege zu Hause leisten und selbst- oder weiterversichert sind und die Pflegeperson mindestens auf Pflegestufe vier ist. Davon sollen laut "vorsichtigen Schätzungen" 30.000 Personen profitieren. Etwa eine Million pflegende Angehörige gibt es in Österreich.

Die unselbstständige Beschäftigung in der 24-Stunden-Betreuung soll "attraktiviert" werden, Details stehen noch aus. Die selbstständige 24-Stunden-Betreuung – in der die allermeisten der über 60.000 24-Stunden-Betreuerinnen tätig sind – soll davon unberührt bleiben und weiterhin bestehen. Seit Jahren sprechen Interessenvertreterinnen und -vertreter von einer "Scheinselbstständigkeit" von 24-Stunden-Betreuerinnen, weil diese in vielen Fällen stark von Vermittlungsagenturen abhängig sind. Die mobile Pflege ist in der Medienaussendung zur Reform kein Thema, wird allerdings von den Ländern gefördert.

Wer das bezahlt

Alle jene Maßnahmen, die zu Mehrkosten führen, sind vorerst auf zwei Jahre befristet (bis zum Ende der Gesetzgebungsperiode) – begründet wurde das von Rauch bei der Vorstellung des Pakets am Donnerstag damit, dass rasch gehandelt werden sollte.

Die Finanzierung all dieser Maßnahmen ist unterschiedlich. Für den Zuschlag für Beschäftigte will der Bund 530 Millionen Euro in die Hand nehmen, die Verteilung wolle man mit Ländern und Sozialpartnern sicherstellen. Für den sogenannten Ausbildungsfonds will der Bund den Ländern insgesamt 225 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung stellen, um zwei Drittel der so entstehenden Kosten abzudecken. Das dritte Drittel haben die Länder zu tragen. Das Paket wird nun schrittweise umgesetzt – die ersten Maßnahmen sollen noch vor dem Sommer im Nationalrat beschlossen werden, sagte Maurer.

Rauch spricht vom "größten Reformpaket der letzten Jahrzehnte", die Menschen, die in der Pflege arbeiten, hätten diese Verbesserungen "längst verdient". ÖVP-Klubobmann Wöginger ist "hochzufrieden" und spricht davon, dass man mit dem Reformpaket bis 2030 76.000 zusätzliche Pflegekräfte gewinnen werde. Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ging in seiner Amtszeit im gesamten Pflegesektor von einem Personalbedarf von 100.000 zusätzlichen Kräften bis 2030 aus.

Grünen-Klubobfrau Maurer sagt: "Der große Durchbruch in der Pflegereform ist auch ein wichtiger Erfolg für die Gleichstellungspolitik. Denn vor allem Frauen sind in Pflegeberufen tätig und übernehmen auch in den meisten Fällen zu Hause die Pflege von Angehörigen."

Wie Interessenvertretungen und Länder reagieren

Die allerersten Reaktionen auf das Paket waren durchwegs positiv, auch wenn weitere Schritte gefordert werden. Die Gewerkschaft GPA spricht von einem "großen Erfolg des gewerkschaftlichen Drucks der letzten Jahre", verlangt aber im Herbst weitere Reformen zum Personalbedarf und -einsatz. Der Österreichische Gewerkschaftsbund begrüßt die Gehaltssteigerungen, lehnt aber eine Pflegelehre ab. Im Gemeindebund spricht man von "ersten, wichtigen Schritten", klar sei aber auch, "dass ein weiterer großer Reformwurf weiter ausständig ist".

Sowohl Diakonie als auch Caritas sprechen von einem ersten Meilenstein. Die Diakonie sagt aber dazu: "Auch für Pflegekräfte in den Krankenhäusern und in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen braucht es dringend Verbesserungen." Das Hilfswerk bewertet die vorgestellten Maßnahmen ebenfalls positiv, merkt aber an: Wichtig sein nun "neben der Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung über die genannten zwei Jahre hinaus vor allem eine gesamthaft gedachte Weiterentwicklung der Versorgungslandschaft in Österreich". Die Volkshilfe spricht von einem "wichtigen Schritt in die richtige Richtung".

Die Neos üben hingegen Kritik: "Strukturelle Probleme lassen sich nicht nur mit Geld zuschütten – das ist nur ideenlos", heißt es von Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler. Sie kritisiert die zersplitterte Finanzierung der gesamten Pflege und dass nun vor allem Geld in die stationäre Pflege fließe.

Für FPÖ-Klubobmann-Stellvertreterin und Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch, den freiheitlichen Behindertensprecher Christian Ragger und FPÖ-Seniorensprecherin Rosa Ecker besteht die Reform lediglich aus "vielen Überschriften, wenig Inhalt". Die Dotierung sei zu gering, zusätzlich bezeichnet Ragger als "höchst bedenklich", dass der Deutschnachweis für Pflegekräfte künftig nicht mehr notwendig sein soll.

Eine Forderung nach tiefgreifenderen Maßnahmen kommt auch von Peter Kostelka, Präsident des Pensionistenverbandes Österreichs (PVÖ). Er äußert sich kritisch und fordert ein eigenes Staatssekretariat für Pflege, "um eine Reform an Haupt und Gliedern zu bewerkstelligen".

Aus dem rot geführten Kärnten kommen differenzierte Reaktionen. Gesundheitsreferentin Beate Prettner (SPÖ) gibt an, sie sei Donnerstagfrüh, kurz vor der Pressekonferenz der Bundesregierung, über die Eckpunkte der Reform informiert worden. Die seien vielversprechend, ein Wermutstropfen sei aber, dass die Anhebung des Pflegegelds nur für bestimmte Personen gelten wird.

Der Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) begrüßt die Pläne. "Wir Länder haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit dem Bund geführt und unseren Teil beigetragen", sagt er. Nur: "Über die Kompetenzerweiterung des diplomierten Personals müssen wir offenbar noch für das nächste Verbesserungspaket sprechen." (elas, 12.5.2022)