Gerhard Zeiler (Warner Bros. Discovery) sieht die Kreativindustrie als Gewinner der TV- und Streamingzukunft – auch und "gerade die in Österreich" könne das schaffen.

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Die Gewinner der bewegten Zukunft bewegter Bilder von TV und Streaming bis Kino lassen sich absehen, sagt Gerhard Zeiler: die Kreativbranche.

Kolportierte 18 Milliarden Dollar, die allein Netflix pro Jahr in Produktionen steckt, machen klar, dass Zeilers Prognose nicht allein eine kleine Aufmerksamkeit für Österreichs Produktionsbranche ist.

Diese Branche – in Gestalt der Austrian Association of Film Producers und der Film Austria – hat Zeiler am Donnerstag eingeladen, seine zehn Thesen zur Zukunft beim Produzentinnentag zu präsentieren.

Gerhard Zeiler hat in den 1990ern den ORF geführt und seine Programme bis heute prägend positioniert, zudem ORF.at gestartet. Er managte RTL Deutschland, danach den ganzen europäischen TV-Riesen RTL Group. Seit 2012 in gewichtigen Positionen bei Turner/CNN, zuständig für das internationale Geschäft, dann ab 2019 bei Warner Media für alle Umsätze verantwortlich.

Noch lange, lange Fernsehen

Seit der TV-Konzern Discovery Warner im April 2022 per Fusion vom Telekomriesen AT&T übernommen hat, ist Zeiler einer der wenigen Warner-Manager, die an Bord blieben – der Österreicher ist nun als President International zuständig für die Aktivitäten in mehr als 200 Gebieten und Ländern um den Globus. Mit dem Fokus: TV, eng abgestimmt mit den Streamern im Konzern.

Zeiler kommt in seiner Analyse zum Schluss: "Fernsehen wird noch lange, lange, lange relevant sein" – auch wenn Netflix, Amazon Prime und Co gerade alles in den Schatten zu stellen scheinen.

Seine zehn Thesen zur Zukunft des bewegten Bilds – die erste klärt ausführlich die große Ausgangslage:

1. Die Zukunft des Fernsehens liegt mehr im Streaming als im klassischen, linearen Programm.

Das zeigen schon die steil abwärts weisenden Kurven des TV-Konsums etwa in den USA über die vergangenen zehn Jahre. Vor allem beim jungen Publikum. Menschen zwischen zwölf und 24 Jahren verbrachten 2021 gewaltige rund 80 Prozent weniger Zeit vor linearem Fernsehen als zehn Jahre zuvor. Rund 70 Prozent weniger sind es bei Kindern unter zwölf und beim Publikum Mitte 20 bis Mitte 30. Die Hälfte weniger schauen Menschen bis 49. Nur die über 50-Jährigen reduzierten ihren linearen TV-Konsum um bescheidene 13 Prozent.

Der Gewinner, klar, heißt Streaming. Mit einem großen Aber, denn Zeiler widerspricht dem einst von Abba besungenen Prinzip: The winner doesn’t take it all.

Nicht alles an einen Gewinner

Im März 2022 machte Streaming laut Nielsen ein Drittel des Bewegtbildkonsums beim Publikum ab zwei Jahren aus. 62 Prozent gingen ans Fernsehen. Und im Gegensatz zum Markt der Suchmaschinen, der Social Media, des Onlinehandels gibt es im Bewegtbildgeschäft nicht den einen Gewinner. Netflix ist mit 222 Abos weltweit wohl Marktführer, Amazon Prime aber ebenso weltweit ein großer Gegner – der aber keine reinen Video-Abos ausweist und also schwer vergleichbar ist. Dazu kommen Disney+ mit 125 Millionen Abos, HBOmax mit 74 Millionen, Paramount+ mit 52, Peacock (NBC Universal) und Discovery+ mit je 23 Millionen.

2. Fernsehen ist ein lokales, regionales Geschäft. Streaming, wenn es nicht nur eine Nische anspricht, muss global agieren.

"Das ist eine einfache Rechnung", sagt Zeiler. Wenn Netflix, wie man liest, 18 Milliarden Dollar für Inhalte ausgibt. Und wenn Netflix pro Abo rund 100 Dollar netto verdiene – was eher hoch geschätzt sei. Also braucht es, grob geschätzt, für die reinen Contentkosten 180 Millionen Abos. "Das ist mit lokalen oder regionalen Märkten nicht machbar." Der Wettbewerb um Kreative sei ebenso global – und einfacher zu gewinnen mit der Aussicht auf ein weltweites Publikum.

3. Das Streaming der Zukunft ist ein anderes als das Streaming, das wir kennen.

Zu Premium-Angeboten ohne Werbung und Angeboten mit Abogebühr und Werbung komme eine dritte Schiene – werbefinanziertes Streaming ohne Abokosten. Diese dritte Variante "wird die Zukunft aller linearen TV-Angebote sein müssen", sagt Zeiler. Netflix plant ein werbefinanziertes Angebot. Und: Gaming, Musik, E-Commerce werden zusätzliche Geschäftsfelder. "Das beste Beispiel dafür ist Amazon Prime."

4. Die Rückkehr der Paketangebote – umfassend und individuell.

Von teuren Kabel-Programmpaketen, bei denen nur ein Bruchteil genutzt wird, verabschiedeten sich US-User Richtung Streaming. Nun sieht Zeiler eine Rückkehr zum individualisierten Komplettangebot über einen Anbieter für alle TV- und Streamingkanäle.

5. Das lineare Fernsehen hat eine Zukunft – wenn es seine Stärken richtig ausspielt.

Stärken des klassischen Fernsehens sind für Zeiler lokale, regionale Inhalt und Liveprogramm. Dieses Fernsehen müsse aber auch alle Plattformen bespielen. "Was die BBC mit ihrem BBC-Player gemacht hat, ist aus ihrer Sicht genial – wo immer Sie die Inhalte sehen wollen, bekommen Sie sie." Für den ORF gelte: "Wenn der ORF keine Gesetzesänderung bekommt, schneidet man ihm die digitale Zukunft ab."

Derzeit verhandelt die Branche über eine Digitalnovelle für den ORF. Entscheidend sei zudem, wesentliche Programme zu besitzen oder zu kontrollieren. Und TV müsse sich auf seine kommerzielle Haupteinnahmequelle Werbung konzentrieren. "Die Werbewirtschaft braucht die Reichweite des linearen Fernsehens. Es muss gelingen, sie mit Targeting zu kombinieren. Das geht im Streaming. Die Zukunft der großen privaten TV-Kanäle liegt im werbefinanzierten Streaming."

6. Große Zusammenschlüsse in Europas TV-Landschaft.

Großbritannien diskutiert die Privatisierung von Channel 4, in Frankreich und den Niederlanden liegen große TV-Fusionen bei den Wettbewerbsbehörden. Ein Zusammenschluss von RTL-Gruppe und ProSiebenSat1 in Deutschland sei nur "noch" nicht in Diskussion, sagt Zeiler.

7. Kino hat als großes Ereignis – oder als Nische – eine Zukunft.

Die Pandemie habe gezeigt, was auch auf dem Bildschirm daheim ganz okay sei. Nur noch wirklich großes Kino oder kleine Nische sieht Zeiler als Chance.

8. Die Nachfrage nach Inhalten explodiert munter weiter.

588 allein englischsprachige Serien wurden 2021 für Streaming und TV produziert – 2012 waren es 259. Netflix hatte im ersten Quartal 2022 einen historischen Höchststand von 824 Serienfolgen im Angebot. Und so dürfte die Nachfrage weitergehen.

9. Lokale, regionale Inhalte haben eine globale Perspektive.

Nur etwas mehr als die Hälfte der Produktionen auf Netflix und Amazon Prime in den USA ist englischsprachig, untermauert Zeiler diese These. Squid Game aus Korea und Haus des Geldes aus Spanien etwa sind Beispiele für internationalen Erfolg.

10. Und der Gewinner ist ... die Kreativbranche.

"Der Bedarf wird größer und größer, und der Zugang zu den Konsumenten wird leichter. Deshalb glaube ich an diesen Gewinner."

Aber gilt das auch für die deutschsprachige, für die österreichische Produktionsbranche? "Selbstverständlich" sieht Zeiler das Potenzial. "Ich glaube, dass das auch die deutschsprachige Kreativindustrie, gerade Österreich, schaffen kann. Man muss weiter gehen als zum ORF." (Harald Fidler, 12.5.2022)