Fechtolympiasieger Matthias Behr ist mit seinem Schicksal versöhnt.

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Behr bei den olympischen Spielen 1988.

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Der 19. Juli 1982 hätte ein weiterer Feiertag in der Karriere des Florettfechters Matthias Behr werden sollen. Der deutsche Mannschaftsolympiasieger von 1976 strebte bei der WM in Rom sein zweites Teamgold an. Im Viertelfinale stand der 1,95 Meter hohe Athlet aus Tauberbischofsheim dem sportlich Größten gegenüber, Wladimir Wiktorowitsch Smirnow aus Rubischne, Oblast Luhansk – dem Olympiasieger, dem regierenden Weltmeister.

Gebrochene Klinge

Dem Aufeinandertreffen der Giganten hält Behrs Klinge nicht stand, sie bricht an Smirnows Brust, der Deutsche rutscht ab, der Klingenstumpf am Griff dringt in Smirnows Maske ein. Behr zieht zurück, die Hand ist voller Blut, sein Kontrahent bricht zusammen. Behr läuft schreiend auf und ab, Smirnow wird abtransportiert. Der 28-Jährige stirbt acht Tage später. Behrs Klinge war durchs Auge ins Gehirn eingedrungen.

Smirnows Tod bedeutete nicht Behrs Karriereende, schon im Jahr darauf holte er in Wien erneut WM-Teamgold. Mit dem Tiefpunkt seiner Laufbahn konnte der 67-Jährige allerdings erst dieser Tage abschließen. In Tauberbischofsheim hat er mit seiner zweiten Ehefrau Zita Verwandte von Smirnows Witwe – deren Enkelkinder und den alleinerziehenden Witwer ihrer Tochter – aufgenommen. Die Familie stammt aus Kiew, wo Wladimir Smirnow seinerzeit auf dem Soldatenfriedhof in Abwesenheit Behrs bestattet wurde.

Geschlossener Kreis

"Endlich bin ich mit meinem Schicksal versöhnt, für mich schließt sich ein Kreis", sagte Behr der Zeitschrift Bunte. Das Geräusch der brechenden Klinge hat er heute noch im Ohr. Lange Jahre konnte sich Behr nur mit dem Gedanken trösten, dass Smirnows Unglück zumindest den Fechtsport sicherer gemacht hat. Seither werden die Klingen aus einer nahezu kohlenstofffreien hochfesten Stahllegierung hergestellt, die Masken und Schutzwesten wurden verstärkt.

Nach dem Karriereende litt Behr, der vergebens Kontakt zu Smirnows Hinterbliebenen gesucht hatte, unter Depressionen. Berufliche Probleme am Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim und private Tiefschläge führten den gläubigen Katholiken an den Rand des Suizids.

2007 kontaktierte ihn ein russisches TV-Team, Behr schrieb wieder und wieder an Witwe Emma Smirnowa. Erst 2017 kam es zu einem ersten Treffen in Kiew, Behr wurde von Smirnows Familie herzlich aufgenommen. Jetzt konnte er sich endlich revanchieren. (Sigi Lützow, 12.5.2022)