Das Kiubo-Pilotprojekt steht in Gehweite zum Grazer Hauptbahnhof.

Foto: Kiubo

Im August 2021 wurden die ersten Module innerhalb von zwei Stunden eingebaut.

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Das Problem mit dem Wohnen: Es ist teuer und unflexibel. Doch in der Lebensspanne eines Menschen gibt es ganz unterschiedlichen Platzbedarf. Als junger Mensch reichen oft wenige Quadratmeter. Mit Familie braucht man ein paar Quadratmeter mehr. Und im Alter, wenn die Kinder ausgeflogen sind, könnte auch die Wohnung wieder kleiner werden. Theoretisch. Denn praktisch wohnen viele Menschen einen Großteil ihres Lebens in derselben Wohnung, auch wenn diese die Bedürfnisse gar nicht mehr erfüllt.

Skelett aus Stahlbeton

Dieses Problem möchte das steirische Unternehmen Kiubo mit seinem modularen Wohnkonzept nun lösen. Kiubo ist eine gewerbliche Tochter des gemeinnützigen Wohnbauträgers ÖWG. Die Idee: Unterschiedlich miteinander kombinierbare Holzmodule werden in ein Terminal – also ein Skelett aus Stahlbeton mit allen Anschlüssen und Infrastruktur wie Wasser- und Energieversorgung – gesteckt und ergeben so ein Wohnhaus. "Das Gebäude wird nicht eingefroren, sondern wird immer wieder anders ausschauen", sagt Gernot Ritter vom Grazer Architekturbüro Hofrichter-Ritter, das gemeinsam mit Kulmer Holzbau an der Entwicklung beteiligt war.

Wer mehr Platz braucht, kann sich weitere Module zu 25 Quadratmetern dazunehmen und so die Wohnfläche unkompliziert vergrößern. Genauso kann man aber auch wieder schrumpfen, wenn die Zeit reif ist.

Und wer einen Tapetenwechsel braucht, lässt sein Modul ganz aus dem Gebäude ziehen, auf einen Tieflader stapeln und zieht weiter. Entweder, um sich in einem anderen Terminal in einer anderen Stadt wieder einzubauen. Oder, um sich sein Modul auf einer Wiese aufzustellen und es wie ein Tiny House zu nutzen.

Ein vertikaler Campingplatz

Noch ist das Zukunftsmusik und nicht ganz einfach vorstellbar. "Es ist wie ein vertikaler Campingplatz, in den die Menschen mit ihren Modulen einziehen", versucht Geschäftsführer Florian Stadtschreiber eine Erklärung. Auf der Website seines Unternehmens zieht man auch den Vergleich zu einem Setzkasten heran, in den Module im Stecksystem eingeordnet, verbunden und wieder entfernt werden können.

"Langfristig sollen die Nutzer die Möglichkeit haben, die Module im Eigentum zu erwerben, das sie mitnehmen können – man muss aber Grund und Boden nicht mehr mitkaufen", sagt Stadtschreiber. Damit falle ein großer Kostentreiber weg. Für die serielle Fertigung der Holzmodule hat man sich Anleihen an der Autoindustrie genommen, hier gilt: Je mehr davon gefertigt werden, umso günstiger wird es. Das Basismodul mit 25 Quadratmetern samt Nasszelle kommt derzeit noch auf 75.000 Euro, ein weiteres ohne Nasszelle auf 55.000.

Pilotprojekt beim Grazer Hauptbahnhof

Seit vergangenem Herbst ist ein Pilotprojekt bezogen. An der Starhemberggasse 2 in Graz, gleich hinter dem Hauptbahnhof, sind auf vier Stockwerken 33 Module mit insgesamt 19 Mietwohnungen entstanden. Hier wohnen Singles, Familien und Studierende nebeneinander.

Auch das Büro von Kiubo ist eingezogen: Die beiden Holzmodule standen ursprünglich auf einem Werksgelände in Pischelsdorf. Im August vergangenen Jahres wurden sie mittels eines Tiefladers nach Graz transportiert und dort in das "Terminal" des vierstöckigen Gebäudes geschoben. "Wir wollten zeigen, dass es geht", sagt Co-Geschäftsführer Hans Schaffer. Innerhalb von zwei Stunden war das Büro vom Tieflader im Haus verstaut, es wurde voll eingerichtet transportiert, auch die Fenster haben standgehalten. Ein flexibles Entfernen der Module ist hier aufgrund der Tatsache, dass das Haus einem gemeinnützigen Bauträger gehört, allerdings nicht möglich.

Sprung nach Wien und Linz

Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, derzeit werden Tiefeninterviews mit den Bewohnerinnen und Bewohnern durchgeführt, bei denen auch ihre Einstellung zum Kiubo-Modell abgefragt wird.

Nun sei man "auf dem Sprung" nach Wien und Linz, ein Projekt befindet sich in Seiersberg im Grazer Umland in der Einreichplanung. Denkbar sei das Projekt auch als Zwischennutzung für Grundstücke, die erst in Zukunft bebaut werden, oder als Überbauung für Supermärkte.

Und auch die spätere Nutzung der Module ist nicht in Stein gemeißelt, wie Kiubo mit seinem Büro vorzeigt. Auch Module für Kindergärten seien denkbar. Und es gibt Freiraummodule, mit denen man sich in einen freien Slot nebenan seine Terrasse bauen kann.

Wachstum braucht Leerstand

Die Pläne sind sehr ambitioniert, die Fantasie in dem 50-Quadratmeter-Modul in Graz, in dem das Büro untergebracht ist, nahezu grenzenlos. Dass das Modell viele Fragen bau-, wohn- und widmungsrechtlicher Natur aufwirft, ist dem Team aber auch klar. "Wir sehen das als Reallabor", sagt Florian Stadtschreiber über sein Pilotprojekt. Er hofft, damit viele Denkanstöße für flexiblere Herangehensweisen an das Wohnen zu liefern.

Und noch ein Thema geht mit dem flexiblen Wachsen und Schrumpfen beim Wohnen einher: Damit man hier nicht sofort an seine Grenzen stößt, braucht es einen gewissen Leerstand, damit nebenan Platz ist. Möglich sei bei Kiubo aber, dass man ein Modul in ein Stockwerk hebt, wo noch genug freier Platz für ein weiteres Modul ist, sagt Architekt Ritter. Und er betont: "Wir versuchen die bauliche Dichte durch inhaltliche Dichte zu ersetzen." (Franziska Zoidl, 17.5.2022)