60 Prozent meinen, Parteichef Karl Nehammer sei "in seiner Politik eingeschränkt, weil er von den ÖVP-Landeshauptleuten und ÖVP-Bünden abhängig ist".

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Linz – Die gute Nachricht zuerst: Immerhin jeder zweite Wahlberechtigte meint, dass Österreichs Parteienspektrum unvollständig wäre, wenn es die ÖVP nicht gäbe – und diese Aussage kommt nicht nur von erklärten ÖVP-Anhängern (von diesen stimmen 84 Prozent der Aussage zu), sondern auch von Grün- und Neos-Wählern (je 62 Prozent) sowie von 42 Prozent der SPÖ-Wählerschaft. Nur die FPÖ- und MFG-Gefolgschaft hält die ÖVP mit großer Mehrheit für verzichtbar.

Ähnlich wie unter Mitterlehner

Sieht man sich die Daten aber im Zeitvergleich an, so relativiert sich die Aussage: Im Sommer 2019 – die Regierung Kurz I war damals durch ein Expertenkabinett ersetzt worden und die von Kurz geführte ÖVP führte einen letztlich erfolgreichen Wahlkampf – waren 68 Prozent der Wahlberechtigten der Meinung, dass die ÖVP für das Parteienspektrum wichtig wäre. Der jetzt auf 50 Prozent gesunkene Wert ist mehr in der Nähe dessen, was im Dezember 2016 gemessen wurde: Damals war Reinhold Mitterlehner Parteichef und Vizekanzler, und die ÖVP lag in der Hochrechnung der Sonntagsfrage bei 22 Prozent.

Aktuell sind es 24 Prozent in der Sonntagsfrage – und die Werte, die das Linzer Market-Institut im Auftrag des STANDARD für die Nehammer-ÖVP erhoben hat, gleichen in hohem Maße jenen, die die ÖVP unter Mitterlehner hatte.

Verlorene Strahlkraft

"Den Unterschied macht Kurz – er hat das Image der ÖVP seinerzeit stark verbessert. Als dann immer mehr über Korruption und Skandale geredet wurde und Kurz schließlich zurückgetreten ist, haben auch die positiv empfundenen Attribute der ÖVP an Strahlkraft verloren, aber das Skandalimage klebt an der ÖVP", sagt Market-Institutsleiter David Pfarrhofer.

In Zahlen: Unter Mitterlehner und Kurz stimmte jeweils rund ein Drittel der Befragten der Aussage zu, dass ÖVP-Politiker vielfach in Skandale verwickelt gewesen wären. Seit dem Kurz-Rücktritt ist dieser Wert auf 69 Prozent gestiegen. Auch jeder zweite ÖVP-Anhänger nimmt eine Verwicklung von Politikern der Volkspartei in Skandale wahr. Der Kurz-ÖVP attestierten noch vor knapp drei Jahren 36 Prozent, dass sie für Anstand in der Politik stehe – der Wert ist im Winter auf elf Prozent gesunken und hat sich nun bei schwachen 14 Prozent eingependelt.

Fehlende Zukunftsperspektive

Nur noch ein Drittel der Befragten sagt, dass die ÖVP auch der nächsten Bundesregierung angehören soll – zur Zeit der rot-schwarzen Koalition und der Parteiobmannschaft von Mitterlehner waren es 42 Prozent, unter Kurz sogar 54 Prozent.

Es gibt natürlich auch Konstanten in den Profilen der politischen Parteien – wann immer man in repräsentativen Umfragen erhebt, wie die ÖVP positioniert ist, kommt die Empfehlung, dass sie sich auf die Interessen von Arbeitern und Angestellten konzentrieren soll. Aber dem steht gegenüber, dass nur 22 Prozent der Befragten meinen, dass die ÖVP einen klaren Plan habe, wie es mit Österreich weitergehen soll – das ist ähnlich schlecht wie unter Mitterlehner. Unter Kurz meinte immerhin jeder Zweite, dass die ÖVP eine klare Zukunftsperspektive habe.

"Es war vielleicht nur geschicktes Marketing – aber der ÖVP unter Kurz wurden viele neue Ideen zugetraut. Bei der heutigen ÖVP ist das ebenso wenig der Fall wie in ihrer Zeit als ewiger Zweiter in der großen Koalition", sagt Pfarrhofer unter Verweis auf entsprechende Datenreihen. Und: Selbst in der ÖVP-Gefolgschaft glaubt nur jeder Zweite, dass die Volkspartei neue Ideen habe.

Lob für den Kanzler, Zweifel am Parteichef

Der Parteitag am Samstag soll allerdings Zukunftsorientierung signalisieren – und Geschlossenheit. Bisher sehen nur 36 Prozent, dass innerparteilicher Rückhalt für Bundeskanzler Karl Nehammer herrsche, auch von den Wählerinnen und Wählern der ÖVP nehmen nur 58 Prozent einen entsprechenden Rückhalt für Nehammer wahr. Immerhin drei Viertel der ÖVP-Anhängerschaft sehen mit Karl Nehammer den richtigen Mann an der Parteispitze.

Als Bundeskanzler bekommt Nehammer gute Noten, mehr als die Hälfte der Befragten sagt, dass er seine Arbeit "auf jeden Fall zufriedenstellend" (15 Prozent) oder "eher schon zufriedenstellend" (37 Prozent) mache – völlig unzufrieden mit Nehammer sind nur 18 Prozent der Befragten. Aber ist er auch frei in seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten? Das trauen ihm nur 20 Prozent der Wahlberechtigten (immerhin 52 Prozent der ÖVP-Anhängerschaft) zu – 60 Prozent meinen, er sei "in seiner Politik eingeschränkt, weil er von den ÖVP-Landeshauptleuten und ÖVP-Bünden abhängig ist". (Conrad Seidl, 13.5.2022)