Es kam, wie es zu befürchten war. Vor zehn Jahren stellte die gemeinnützige Wohnbaugruppe Ennstal (ENW) die Anwohnerinnen des Messequartiers in Graz vor die Wahl: sofort kaufen – oder in zehn Jahren zum Preis der Errichtungskosten plus zweiprozentigen Zuschlag. Viele entschieden sich damals für die zehnjährige Wartezeit.

Nun will man bei der ENW davon nichts mehr wissen. Die Anbote sind bei den Mieterinnen und Mietern eingetrudelt und sind um einiges teurer als damals vereinbart. Bei der ENW sagt man, die Wohnungen seien trotzdem noch zu einem guten Preis zu haben, doch die Betroffenen fühlen sich betrogen. Und haben bereits Hilfe gesucht.

Einige der Mieter des Messequartiers Graz wollen gegen die ENW vor Gericht ziehen. Die Arbeiterkammer und das Land Steiermark stehen an ihrer Seite, die ENW will aber nicht von ihrem Standpunkt abrücken.
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So hat die Arbeiterkammer Steiermark zuerst ein Schreiben an die ENW verfasst, das dem STANDARD vorliegt. Für sie "ergibt sich ein geschlossenes Bild, was die Information, Kommunikation und sogar die expliziten Vertragsinhalte aus der Vergangenheit betrifft". Beiblätter, Website-Inhalte, Finanzierungsaufstellungen und Vertragspassagen würden darauf hinweisen, dass die Kaufpreisbildung nach dem "steirischen Modell", wie es auch genannt wird, vereinbart war. "Demzufolge erwarten wir in all diesen Fällen, dass Kaufanbote gelegt oder nachgebessert werden, deren Kaufpreis der jeweils getroffenen Vereinbarung entspricht."

Im Anschluss habe es ein Treffen zwischen Arbeiterkammer und ENW gegeben, bei dem die ENW nicht von ihrem Standpunkt abgerückt sei. Sie soll sogar behauptet haben, dass ihr aktuelles Vorgehen im Einvernehmen mit dem Land Steiermark passiere.

Vereinbart – oder nicht?

Das dementiert Michael Sebanz, Leiter der Fachabteilung Energie und Wohnbau im Amt der Steiermärkischen Landesregierung, im Gespräch mit dem STANDARD: "Unser Standpunkt hat sich nicht verändert." Dieser lautet: Das Land setzt sich dafür ein, dass gemeinnützige Wohnbauträger sich an die gemachten Zusagen halten.

Die ENW schreibt in ihren Anboten an die Bewohnerinnen und Bewohner: "An dieser Stelle möchten wir festhalten, dass all unsere Vermarktungsaktivitäten an der zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Gesetzeslage ausgerichtet waren, die heute nicht mehr in gleicher Form rechtens und anwendbar ist." Gemeint ist damit eine Änderung im Wohngemeinnützigkeitsgesetz (WGG), das gemeinnützigen Bauträgern vorschreibt, Wohnungen nicht unter Buchwert zu verkaufen. Und: "Auch das Land Steiermark als Fördergeber kann uns von dieser bundesgesetzlichen Bestimmung rechtlich nicht entbinden." Die Arbeiterkammer hält "aus zivilrechtlicher Sicht" fest, dass die versprochene Preisbildung "individualvertraglich verbindlich anzusehen und einzuhalten" sei.

Den Anwohnern werden zwei Möglichkeiten bleiben: Mehrpreis bezahlen oder klagen. Einige erklären sich dazu bereit, rechtliche Schritte einzuleiten. Andere wollen das Risiko nicht eingehen.

Wenn es nach der Arbeiterkammer und dem Land Steiermark geht, so hofft man auf eine Einigung. Die Zeit rennt. Innerhalb von sechs Monaten muss das Anbot angenommen oder angefochten werden. (Thorben Pollerhof, 14.5.2022)