Stellen wir uns eine Welt vor, in der Arabella Kiesbauer uns nicht Woche für Woche eine Sendung präsentiert hätte, welche auch weißen Musiker:innen eine Bühne bot. Es wäre eine andere österreichische Musikwirtschaft. Starmania bescherte uns schließlich Christina Stürmer und legte den Grundstein für eine Karriere, die in Conchita Wurst gipfelte. Was wäre Österreich ohne The Rounder Girls, die mit ihrer Eurovision-Song-Contest-Teilnahme im Jahr 2000 davon ablenken konnten, dass Europa uns wegen Schwarz-Blau I in Bezug auf den Umgang mit Vielfalt genau beobachtet. Stellen wir uns Weihnachten ohne die Gospelveranstaltungen mit Stella Jones vor. Oder eine Welt, in der alle Jazz- oder Soul-Musiker:innen weiß sind, weil die Wurzeln dieser Musikstile verdrängt wurden. In dieser Welt wollen wir nicht leben. In einer Welt, in der uns die Aphrodelics nicht mit Hip-Hop aus Österreich ausstatten, schon gar nicht.

Vanessa Spanbauer wurde 1991 in Wien geboren und arbeitet als Journalistin und Historikerin. Im Besonderen beschäftigt sie sich mit dem Thema Schwarze Menschen in Österreich, Zeitgeschichte und der österreichischen Gesellschaft.
Foto: Horak

Es ist mir eine große Freude und Ehre, hier stehen zu können und diese Institution in Wien willkommen zu heißen. Wien, die Stadt der Musik, erhält einen Teil ihrer Geschichte zurück. Eine Geschichte, die zwar in den Köpfen von vielen Akteur:innen der Schwarzen Communities tief verhaftet ist, allerdings vielen Menschen verborgen bleibt. Das Österreichische Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music wird eröffnet.

Blick nach Deutschland

Schwarze Musiker:innen oder schwarze Menschen in der Unterhaltung gibt es zahlreiche. Ich erinnere mich an einen Versuch meinerseits, diese Vielfalt in einem Magazin zusammenzufassen und eine fresh – Black Austrian Lifestyle-Sonderausgabe über dieses Thema zu initiieren. Entstanden ist ein Heft, in dem ich die Fülle an Künstler:innen aus den verschiedenen Disziplinen nur beispielhaft erwähnen konnte – Hip-Hop, Rock, klassische Musik, elektronische Musik, Jazz, Soul, Afrobeats, Pop, Reggae, Dancehall und viel mehr. So vielfältig wie die Musikrichtungen erscheinen auch die Zugänge und Wege, wie diese Musik gelebt wird.

Schauen wir nach Deutschland, wo die Schwester dieser Institution steht. Denn das Deutsche Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music existiert jetzt schon etwas länger. Wir können nicht behaupten, dass uns die deutschen Brüder und Schwestern kal gelassen haben. Denn Tic Tac Toe, die in dieser Institution ebenfalls einen Platz finden, haben uns gelehrt, wie man Musik macht und wie man eine Trennung konsequent durchzieht. Mola und Milka von Viva haben uns fast täglich neue Hits präsentiert. Die Brothers Keepers und die Sisters Keepers haben gezeigt, wie großartig und politisch afrodeutsche Musik sein kann. Wir haben da gerne Verstärkung aus Österreich geschickt, denken wir an Tyron Ricketts, der ebenfalls bei Viva moderierte.

Neue Geschichten schreiben, alte abbilden

Nun gibt es einen Ort, der diese Geschichten auf ewig festhält. Er stellt uns die relevantesten Köpfe vor und beschert uns nostalgische Momente. Er stellt uns Personen vor, die mit dem Musikbusiness immer verbunden bleiben, auch wenn sie selbst nicht hauptsächlich Musik machen. Der Ort gibt uns die Möglichkeit, Künstler:innen von heute einzuladen und ihnen den Raum zu geben, um ihre Projekte vorzustellen. Er kann dabei helfen, neue Geschichte(n) zu schreiben und die vergangene abzubilden.

Schwarze Menschen und Entertainment gehörten immer irgendwie zusammen, nicht immer war das positiv. Die Selbstermächtigung durch Kunst ist ein wichtiger Faktor, welcher im Zentrum dieser Institution steht. Dennoch ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, weshalb wir Institutionen wie diese brauchen.

Kunst, ja. Anderer Berufsweg, nein.

Die Unterhaltungsbranche war immer eine Nische, in der schwarze Menschen existieren durften. Es gibt eine lange Tradition, die damit einhergeht, schwarze Menschen zum Zweck der Unterhaltung anzusehen. In unserer Geschichte war das allerdings mit Gewalt verbunden, besonders wenn wir uns an die Völkerschauen Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts erinnern und auch an das Ausstellen von schwarzen Körpern als "anders" in diversen künstlerischen Kontexten. Beides fand in Wien statt. Doch es sollte nicht lange dauern, bis schwarze Menschen ihre Plätze einerseits im Sport und andererseits im Kunst -und Kulturbereich beanspruchten. Einerseits kann man dies als Selbstermächtigung betrachten, da es Menschen ermöglichte, ihre Talente und ihre Lebensträume auszuleben. Anderseits war es die Nische, in der schwarze Menschen verhaftet bleiben sollten.

Gesellschaftlich war es lange Zeit anerkannt, als schwarzer Mensch im Varieté zu performen, ein Instrument zu bedienen oder zu singen. Andere berufliche Lebenswege blieben den Personen allerdings verschlossen. Bis heute ist merkbar, dass schwarze Menschen in der Unterhaltung und im Sport zwar gern gesehen werden, doch in vielen anderen beruflichen Feldern unterrepräsentiert sind. Selbst wenn die Ausbildungen erfolgreich abgeschlossen sind, können einige Menschen ihre Expertise erst im Ausland adäquat einsetzen und verlassen deshalb Österreich.

George Polgreen Bridgetower

Eine neue Institution willkommen zu heißen bedeutet immer, zu reflektieren, weshalb sie bisher gefehlt hat. Gefehlt hat in der Erzählung der schwarzen österreichischen Geschichte bisher vieles. Ein Faktor, welcher diese Institution derart wichtig macht, ist die Auslöschung der Erinnerung an bestimmte schwarze Musiker:innen. Geht man durch den Wiener Augarten, kann eine Tafel gefunden werden, welche an Konzerte erinnert.

Erinnert wird unter anderem an die Uraufführung der sogenannten Kreutzer Sonate von Beethoven, die am 24. Mai 1803 stattfand. Nicht erwähnt wird die Anwesenheit des schwarzen Musikers und Komponisten George Polgreen Bridgetower, der Violine neben Beethoven spielte. Er war afroeuropäischer Herkunft und lebte eigentlich in London, war aber zu Besuch in Wien. Ihm wurde die Sonate – unter einem problematischen Namen – sogar erst gewidmet, bevor sich Beethoven aus einem nicht komplett geklärten Grund doch anders entschied.

Nun sei es Beethoven unbenommen, seine Meinung zu ändern. Dass wir diese Geschichte allerdings zu selten hören, ist eine Schande. Es gibt viele weitere Musiker:innen, deren Wirken wir in Vergessenheit gelangen haben lassen.

Wie gestohlene Kunst in Museen

Der Kunst- und Kulturbetrieb lebt immer noch davon, schwarze Menschen auszulassen und von ihrer Diskriminierung zu profitieren. Denn in der Oper und im Theater geschieht immer noch Blackfacing, schwarze Darsteller:innen werden kaum engagiert, und auf Plakaten findet sich das N-Wort ausgeschrieben, als wäre es nicht absolut indiskutabel. Diese Dinge geschehen, weil die Diversität im gesamten Feld immer noch sehr spärlich ausfällt – auch hinter den Kulissen. Man glaubt, die Kunst schwarzer Menschen stehlen zu können. So wie seinerzeit allerhand Objekte ihre Wege in europäische Museen fanden, die dort nicht hingehören.

Während Österreichs Museen langsam damit anfangen, ihre koloniale Vergangenheit zu reflektieren und die Ursprünge dieser kolonialen Objekte zu ergründen, können wir hier eigene Objekte ausstellen. Objekte, die in den deutschsprachigen Raum gehören. Objekte, die wir nicht zurückgeben müssen oder sollten. Kunst, die tatsächlich Kunst ist und dafür gemacht wurde, von uns bewundert zu werden. Ist es nicht viel schöner, ein Museum zu einem positiven Ort umzudeuten? Einem Ort, der nicht darauf basiert, Menschen ihre Stimme und ihre Würde zu nehmen. Das Österreichische Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music gibt Stimmen Raum und lässt sie durch ihre Räumlichkeiten hallen.

Ein Hall, der uns noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Das Museum sammelt, dokumentiert und archiviert. Es macht Realitäten sichtbar, die in anderen Institutionen nicht den notwendigen Platz finden.

Ein Ort zum Sein

Die Kunst von schwarzen Personen ist und war immer auch dafür da, Widerstand zu üben. Sei es in gesellschaftskritischem Rap oder auch in Melodien und Rhythmen. Sie erlaubte es, Kritik in einem Rahmen zu äußern, der als nicht ganz so unangenehm empfunden wurde wie Proteste auf den Straßen. Doch auch bei Demonstrationen ist Musik ein wichtiges Ventil, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Die Entspannung und Party nach einem gelungenen Protestmarsch ist ebenfalls so relevant wie der Zug durch die Straßen selbst.

Für schwarze Menschen ist bereits das Zusammentreffen und das Leben eng mit Widerstand verknüpft. Ein Fest, bei dem Essen serviert wird – sei es Jollof Rice oder Jerk Chicken – und bei dem Musik läuft – die von Beyoncé bis Fela Kuti oder At Pavillon alles abdecken kann –, ist Befreiung. Befreiung vom Alltag, in dem unsere vielfältigen Geschichten nicht gelebt werden können, da Blackness immer noch auf viel Gegenwind stößt. Das Österreichische Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music gibt genau diesen Erinnerungen und der Gegenwart von Blackness einen Raum. Es ist ein Ort, an dem wir sein können.

Schwarze österreichische Geschichte greifbar machen

Die Repräsentation von schwarzen Menschen in der Kunst- und Kulturbranche hat ihre wunderbaren Seiten. Denn was, wenn nicht Kunst, kann uns Dinge erleben lassen, die unseren Alltag aufmuntern oder auch zum Nachdenken anregen. Kunst bewegt uns. Sie macht es möglich, Perspektiven greifbar zu machen. Perspektiven, die vielen weißen Personen fehlen. Diese Lücke wird jetzt ein Stück mehr ausgefüllt. Denn Diversität und intersektionales Denken in unseren Debatten stärkt Diskurse, die wir führen müssen und dürfen.

Es ist eine Ehre, ein Teil dieser neuen Zukunft zu sein. Ein Wien, in dem Kunst und Kultur nicht nur bestimmte Menschen abbilden. Eine Wiener Museumslandschaft, die langsam versteht, dass sie sich mit der Gesellschaft auseinandersetzten muss und sie widerspiegeln sollte. Diese Institution macht es möglich, schwarze österreichische Geschichte greifbarer zu machen. Feiern wir diesen Ort, erkennen wir unsere Geschichte an, zelebrieren wir unsere Errungenschaften und genießen wir es, neue Perspektiven geschenkt zu bekommen. (Vanessa Spanbauer, 14.5.2022)