Frankreichs Industriellen wurde diese Woche das Gruseln gelehrt. Frei nach der niederösterreichischen Landeshauptfrau haben Absolventen einer Eliteuniversität gezeigt, wo der Hammer hängt: Sie riefen zum Boykott einer Karriere in der Agrar- und Ernährungsindustrie. Angesichts der Klimakrise forderten die Absolventen der Hochschule Agro Paris Tech auf der Bühne der feierlichen Abschlussfeier eine radikale Kehrtwende, wie der Sender France Info berichtete.

Die Studierenden prangerten eine Ausbildung an, "die dazu drängt, sich an den laufenden sozialen und ökologischen Verwüstungen zu beteiligen". Nachhaltigkeitskonzepte und ein sogenanntes grünes Wachstum bezeichneten sie als Augenwischerei. "Wir sehen vielmehr, dass die Agrarindustrie überall auf der Erde einen Krieg gegen das Leben und die Bauernschaft führt." Die Entwicklung moderner Techniken werde dazu genutzt, die Ausbeutung und Umweltverschmutzung in anderen Erdteilen fortzusetzen.

Das Njet der jungen Elitenabsolventen wird flugs vom Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon gekapert, um bei der Parlamentswahl im Juni eine Mehrheit als Gegengewicht zum wiedergewählten liberalen Präsidenten Emmanuel Macron zusammenzubringen.

Nachhaltigkeitskonzepte und ein sogenanntes grünes Wachstum bezeichnen viele Junge als Augenwischerei. Das Schild stammt von der Fridays For Future-Demo am 25. März in München.
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Erstes Symptom

Bloß eine Episode aus Frankreich? Sehr wahrscheinlich nicht. Sondern eher eines der ersten radikalen Symptome eines sich beschleunigenden Wandels.

"Mein Job ist nicht mein Leben", hieß es noch vor 15 Jahren. Dann kam die Sinnbewegung, dann die Verweigerung, in die Vollzeit-Fußstapfen der Eltern zu treten. Allerdings hat sich diese Entwicklung individuell abgespielt – und natürlich nur bei den wenigen, die es sich leisten können. Jetzt sagen die ersten Vertreterinnen und Vertreter der bestens Ausgebildeten, der für Führungsjobs in der Wirtschaftswelt Ausgebildeten, gemeinsam Nein zum System.

Wer das weiterdenkt, hält unweigerlich die Luft an. "Die kriegen sich schon wieder ein, die Hippies sind damals auch später in den Chefetagen gelandet" – das wird so nicht passieren. Zu weit ist die Erkenntnis, die Verzweiflung fortgeschritten, dass unsere Arbeit, unser Konsum unseren Planeten ruinieren. Jahrelanges Green- und Pinkwashing werden wohl auch ihren Anteil tragen.

Aber ganz egal, was Unternehmen davon halten: Sie sind mit den Fakten konfrontiert und haben schon jetzt ihre liebe Not, den Nachwuchs in ihre Jobs zu locken. Allerdings ist das – nicht nur in Frankreich – auch ein dramatischer politischer Weckruf. Ignorieren ist die schlechtestmögliche Variante des Nichthandelns geworden. (Karin Bauer, 15.5.2022)