Wien – Ein Saal voller Turngeräte, ein aufgebauter Bewegungsparcours und zwei Doppelstunden Sport auf dem Programm: Für viele Schülerinnen und Schüler ist dieses Szenario meist mit Ablehnung und Lustlosigkeit verbunden. Andere sehen den Sportunterricht wiederum als willkommene Abwechslung zum Schulalltag. Die Meinungen zum Turnunterricht gehen jedenfalls auseinander, seit Jahren ist die Sportausübung in den Schulen auch Thema der politischen Auseinandersetzung.
Gerade in der Pandemie haben Kinder im Rahmen des Distance-Learning und der geltenden Abstandsregeln kaum Sport ausüben können. Doch ausreichend Bewegung ist für die junge Generation wichtig: Studien zeigen, dass Bewegung im Alltag tatsächlich die Konzentration und den Lernerfolg fördern kann.

Der Sport- und der Bildungsminister wollen deshalb gemeinsam Maßnahmen setzen. Am Freitagvormittag präsentierten sie im Bildungscampus Attemsgasse ein Konzept zur täglichen Bewegungseinheit in Schulen und Kindergärten. Vorerst soll es aber nur in Teilen Österreichs zum Einsatz kommen: Ab September wird das Projekt in 1.500 Klassen in neun Pilotregionen gestartet. Für das Drei-Säulen-Modell nehmen die beiden Ministerien rund sechs Millionen Euro in die Hand. Das schulische Sportangebot soll sich laut dem grünen Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler vom klassischen Turnunterricht unterscheiden, wie er im Rahmen einer Pressekonferenz bekanntgab: "Das große Ziel des neuen Konzepts ist, dass die Bewegung und der Sport in den Fokus gerückt werden sollen." Wichtig sei, dass es den Kindern Spaß macht "und nicht als ein Muss angesehen wird".
Turnunterricht soll neu gedacht werden
Ziel sei es, dass Bewegung einerseits im Unterricht, aber auch darüber hinaus "täglich Platz hat", erklärte Kogler die erste Säule des Projekts. Darunter fallen Bewegungsformen, die im Alltag der Schule eingesetzt werden können. Die lange geforderte tägliche Turnstunde ist daher nicht Teil des Projekts. Vielmehr soll es andere Möglichkeiten für die Kinder in der Schule geben, um tägliche Bewegungseinheiten in Anspruch zu nehmen.
Angedacht sind etwa eine sportliche Pausengestaltung und aktive Bewegungseinheiten als Teil des Unterrichts. Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) dazu: "Die Bewegungseinheiten sollen in allen Bereichen angewandt werden und nicht nur auf den Turnsaal beschränkt sein." Die teilnehmenden Schulen können dafür alle Ressourcen verwenden, die ihnen zur Verfügung stehen. Ob nun Laufeinheiten im Freien oder eine kurze Sporteinheit vor der Klasse, der Gestaltung des Sportangebots seien hier laut Polaschek grundsätzlich keine Grenzen gesetzt.
Konkreter ist die zweite Säule des Projekts: Diese sieht vor, dass regelmäßig externe Bewegungscoaches von umliegenden Sportvereinen an der Schule anwesend sind und den Kindern unterschiedliche Sportarten näher vorstellen. Die Koordination zwischen Schule und Sportvereinen übernimmt die Bundessportorganisation Sport Austria gemeinsam mit ihren Dachverbänden. Dadurch werden in den Pilotregionen binnen zwei Jahren insgesamt 90.000 neue Bewegungseinheiten bereitgestellt. Mit den externen Trainern sei eine qualitativ hochwertige Sportausübung garantiert, sagte Hans Niessl, der als Präsident von Sport Austria an dem Projekt mitgewirkt hat: "Die speziell ausgebildeten Trainer können für jedes Kind und für jedes Alter eine entsprechende Sportausübung garantieren."

Das Bewegungsangebot soll den Schülerinnen und Schülern neben Spaß und mehr Konzentration im Schulalltag auch Unterstützung bei Haltungsschwierigkeiten und motorischem Bedarf bieten. Dieses Zusatzangebot ist Teil der dritten Säule und kann speziell an individuelle Bedürfnisse angepasst werden. "Die zielgerechte Anwendung kann Kindern bei medizinischen Problemen helfen. Das Angebot der dritten Säule wird in Absprache mit den Erziehungsberechtigten zur Verfügung gestellt", sagte Polaschek.
Der Bildungscampus in der Donaustadt lebt das Leitziel der Bewegung im Schulalltag bereits seit fünf Jahren vor. Der Unterricht wird dort aktiv mit dem Sportangebot verknüpft. "Neben den Turnstunden arbeitet unser Campus mit verschiedenen Sportvereinen zusammen, die die Kinder während ihrer Freizeit in der Schule besuchen können", erklärte Direktorin Claudia Kollmer-Weber. Das Angebot umfasst unter anderem Tennis, Badminton, Fußball, Handball und Basketball. Ziel sei immer, den Kindern die Freude an der Bewegung zu vermitteln, sagte Alina Scharbl, die als Sportcoach am Campus tätig ist: "Wir wollen die Kinder dazu ermutigen, auch in ihrer Freizeit sportlich aktiv zu sein."
Bundesweite Umsetzung sei laut Kogler möglich
Erweist sich das Drei-Säulen-Modell in den Pilotregionen als Erfolg, so werde man über eine bundesweite Umsetzung nachdenken. Es können laufend Schulen dazukommen, es brauche aber laut Bildungsminister Polaschek eine Planungsphase, denn die Koordination von Sportvereinen und Schulen muss gegeben sein. Die Gesamtkosten einer Ausweitung der täglichen Bewegungseinheit auf ganz Österreich können noch nicht genau abgeschätzt werden, Vizekanzler Kogler rechne aber bei einer Umsetzung mit einem dreistelligen Millionenbetrag. (Max Stepan, 13.5.2022)