Obwohl nur Abgeordnete über den nächsten Präsidenten Somalias entscheiden, werben dennoch einige der Kandidaten auch auf Plakaten für sich.

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Meinungsumfragen gibt es nicht, dafür wird die Stimmung vor Wahlen in Somalia am Preis von Kalaschnikows gemessen. Für ein AK-47-Schnellfeuergewehr müssen die Bewohner des ostafrikanischen Staats heute 1.800 US-Dollar (etwa 1.740 Euro) hinlegen. Vor ein paar Monaten waren sie noch für die Hälfte zu haben. Ein Hinweis darauf, dass der Urnengang an diesem Sonntag sowohl spannend wie angespannt verlaufen wird. Eigentlich hätte die Abstimmung die erste somalische Wahl seit über einem halben Jahrhundert werden sollen, bei der das Volk seine Stimme direkt abgeben kann. Doch dazu fehlte den Entscheidungsträgern dann doch der Mut – sodass die somalischen Präsidentschaftswahlen eine der merkwürdigsten Übungen dieser Welt bleiben, einen Staatschef zu bestimmen.

329 Abgeordnete werden sich am Sonntag in einem Hangar des hochgesicherten Flughafens in Mogadischu versammeln, um ihre Stimme abzugeben: 275 Mitglieder des Unter- und 54 des Oberhauses, keines von ihnen wurde in sein Amt gewählt. Vielmehr wurden die Volksvertreter von Clans und den Regierungen der fünf Provinzen bestimmt: Jeder der vier großen Clans darf 61 der 275 Sitze des Unterhauses besetzen, der Rest geht an kleine Bevölkerungsgruppen.

Der Käse könnte gehen müssen

Dermaßen kompliziert und kontrovers ist das Verfahren, dass die Wahl mehrmals verschoben werden musste. Sie kommt jetzt 14 Monate nach dem ursprünglich geplanten Termin zustande: Über ein Jahr lang verharrte Präsident Mohamed Abdullahi "Farmajo" Mohamed, dessen Spitzname sich vom italienischen Wort für Käse ableitet, deshalb verfassungswidrig im Amt. Vermutlich wäre der Wahltag weiter verschoben worden, hätte der Internationale Währungsfond nicht mit einem Ultimatum gedroht: Der Fond kündigte an, seine Budgethilfe in Höhe von 400 Millionen Dollar (etwa 386 Millionen Euro) einzustellen, falls es bis zum 17. Mai keinen neuen Präsidenten gäbe.

Die Abgeordneten können ihren Favoriten aus einer stattlichen Liste von 39 Kandidaten auswählen. Das verblüfft, hat doch jeder Anwärter 40.000 Dollar (etwa 38.600 Euro) für seine Registrierung hinzublättern. Außerdem muss jeder Kandidat von mindestens 20 Abgeordneten oder einer Provinzregierung nominiert worden und über 40 Jahre alt sein. Schließlich darf er von keinem Gericht wegen eines schweren Verbrechens verurteilt worden sein: Das ist die am leichtesten zu nehmende Hürde, weil es in dem seit 30 Jahren ruinierten Staat ohnehin keine ernstzunehmende staatliche Gerichtsbarkeit mehr gibt.

Quote 1:38

Brisanz erhält der Urnengang vor allem durch die Rivalität zwischen Farmajo und Premierminister Mohamed Hussein Roble. Diese führte schon während der anderthalbjährigen Wahlvorbereitung zu mehreren Staatskrisen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Roble steht zwar nicht zur Wahl, doch sein Lager und Clan ließen bereits vor der Abstimmung ihre Muskeln spielen. Bei der Wahl der Sprecher des Ober- und Unterhauses erlitten die Gefolgsleute Farmajos eine peinliche Niederlage.

Farmajos gefährlichste Gegner bei der Präsidentenwahl sind zwei Kandidaten, die das Amt schon einmal ausgeübt haben: Sharif Sheikh Ahmed (2009–2012) und Hassan Sheikh Mohamed (2012–2017). Auch beim Rest der Anwärter handelt es sich vorwiegend um ehemalige Regierungsmitglieder oder Diplomaten – allerdings befindet sich auch ein Journalist darunter und als einzige Frau die ehemalige Außenministerin Fawzia Yusuf Adam.

Geld nehmen, dann anders wählen

In der Hauptstadt Mogadischu zeigt sich Politologe Mohamed Mohamud besorgt darüber, dass der bisherige Amtsträger Farmajo über keine Mehrheit verfügt: "Nun besteht die Gefahr, dass er sich über Schmiergelder und Wahlmanipulationen zum Sieg zu verhelfen will." In dem Land, das als korruptestes der Welt gilt, hat der Stimmenkauf Tradition. Allerdings wird auch die Hoffnung laut, dass die Abgeordneten nach dem Prinzip verfahren werden: "Nimm das Geld – und wähle wie du willst."

Mit den eigentlichen Spannungen wird nach der Wahl gerechnet – wenn die Verlierer ihre Niederlage einräumen müssten. Geht das wider Erwarten gut, warten auf den Sieger die eigentlichen Probleme des Landes, das derzeit von einer Hungersnot und seit 17 Jahren von den Umtrieben der islamistischen Extremistengruppe al-Shabaab gebeutelt wird. Kaum zu glauben, dass jemand 40.000 Dollar hinlegt, um sich mit solchen Problemen konfrontieren zu lassen. (Johannes Dieterich, 14.5.2022)