Mit der vierten Impfung können die meisten bis Herbst warten, sind sich Fachleute einig.

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Als sich Omikron nach Delta durchsetzte, zeigte sich rasch: Die Impfung schützt zwar nach wie vor sehr gut vor schweren Verläufen, aber nicht mehr so zuverlässig vor Ansteckung. Die Forschung war erneut gefordert – die Aufgabe: Das Vakzin muss angepasst werden und soll künftig auch wieder vor Infektion schützen und so epidemiologisch wirksamer sein. Aber das Virus entwickelt sich weiter, mutiert, und es lässt sich nicht vorhersagen, wie sich die nächsten Varianten verhalten werden.

Inzwischen ist Omikron BA.1 – jene Variante, an die das Vakzin aktuell angepasst wird – längst nicht mehr die dominierende Variante, die Zahl der mit dem Omikron-Subtyp BA.4 Infizierten steigt hierzulande. Wie sinnvoll ist der Wettlauf gegen die Zeit? Eine Einordnung.

Frage: Eigentlich hätte ein an Omikron angepasstes Vakzin im Frühjahr kommen sollen. Wo bleibt es?

Antwort: Ähnlich wie bei Influenza wird im Moment versucht, Corona-Impfstoffe an die aktuell zirkulierenden Varianten anzupassen. Allerdings ist das Zulassungsverfahren ein anderes: "Bei Impfstoffen gegen das Coronavirus ist im Moment, anders als bei Influenza-Vakzinen, noch eine klinische Studie notwendig", erklärt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Med-Uni/AKH Wien.

Das dauert, aber: "Die Studienergebnisse für den angepassten Impfstoff werden täglich erwartet", sagt Dorothee von Laer, Virologin von der Med-Uni Innsbruck. Die Europäische Arzneimittel-Agentur habe zudem verlauten lassen, dass der angepasste Impfstoff dann rasch durchgewunken werde. Bis Herbst werde er wohl verfügbar sein, denkt die Virologin. Künftig könne sie sich gut vorstellen, "dass auch für Corona-Impfstoffe das Zulassungsverfahren verkürzt wird".

Frage: Liegt die Verzögerung also "nur" am Zulassungsprozess?

Antwort: Nein. Die Forschung steht vor einer Herausforderung in der Impfstoffentwicklung: "Momentan haben wir das Problem, dass wir nachjagen", sagt Zeitlinger – und meint damit den Wettlauf gegen das Virus. Ein Beispiel: "Daten einer Moderna-Studie haben gut ausgesehen. Aber das wäre ein Impfstoff, der gut gegen Beta schützt und jetzt eigentlich obsolet ist. Das zeigt, wie schwierig der Kampf gegen die Zeit ist. Mit der Anpassung der Impfstoffe läuft man immer dem gerade relevanten Virusstamm nach."

Frage: Zu Beginn der Entwicklung eines angepassten Impfstoffs war Omikron BA.1 die dominierende Variante. Wirkt das angepasste Vakzin, wenn es dann da ist, überhaupt gegen andere Omikron-Subtypen wie etwa BA.4?

Antwort: "Jein", sagt Virologin Dorothee von Laer und erklärt, warum das schwierig zu sagen ist. "Es ist noch nicht ganz klar, inwieweit eine Impfung mit einem angepassten Impfstoff wirklich eine bessere Immunität gegen die neue Variante hervorruft." Die Tierversuche seien zu widersprüchlich, man müsse auf die klinischen Studien warten.

Auch Zeitlinger betont, dass sich die Omikron-Subtypen "verhältnismäßig stark" voneinander unterscheiden. "Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass die nächste Variante wieder näher zurückkommt zum Wildtyp oder zu BA.1. Coronaviren entwickeln sich nämlich nicht treppenförmig immer weiter weg von der Ursprungsvariante, es ist eher sternförmig. Wir können Glück haben, und die nächste Variante wird von einem adaptierten Impfstoff gut abgefangen. Deshalb darf man die Flinte nicht ins Korn werfen."

Und es gebe dahingehend auch erste Erfolge, berichtet von Laer: "Moderna hat einen auf die Südafrika-Variante, die Omikron sehr unähnlich ist, angepassten Impfstoff gemacht. Die Daten zeigten, dass die Antikörperantwort breiter wurde und auch gegen Omikron wieder zunahm. Es könnte also sein, dass eine Impfung mit einem an eine fremde Variante angepassten Impfstoff möglicherweise auch vor anderen Varianten schützt."

Frage: Gibt es noch andere Ansätze, den Impfstoff zu verbessern?

Antwort: Ja, allerdings nur langfristig. Die Anpassung an Varianten ist nicht die einzige Möglichkeit, Vakzine weiterzuentwickeln. "Ein Ziel könnte auch sein, Impfstoffe zu entwickeln, die auch bei Menschen mit schlechtem Immunsystem eine Immunantwort auslösen", sagt Zeitlinger. Es sei laut von Laer aber "sehr unwahrscheinlich, dass man das hinbekommt".

Zudem sind auch Impfstoffe in Entwicklung, die einen universelleren Zugang finden sollen: "Sie sollen an anderen Strukturen des Virus ansetzen. Nicht am Spike-Protein, das so schnell mutiert, sondern an Kernproteinen", erklärt Zeitlinger. Diese Vakzine würden allerdings bis dato "noch nicht sonderlich gut" funktionieren.

Und noch einen hoffnungsvollen Zugang gebe es, berichtet von Laer: "In den USA sind Grippeimpfstoffe zugelassen, die durch Nasensprays verabreicht werden. So entsteht eine besonders gute Schleimhautimmunität im Nasen-Rachen-Raum. Genau dort brauchen wir auch bei Corona die schützenden Antikörper, denn da tritt das Virus ein." Mit einer solchen Impfstoffentwicklung sei allerdings nicht bis kommenden Winter zu rechnen, "eher in zwei bis drei Jahren". Oder wie Zeitlinger sagt: "Obwohl die verfügbaren Impfstoffe sehr effektiv vor schwerer Erkrankung schützen, ist die Durststrecke bis zu einem optimalen Impfstoff noch eine lange."

Frage: Wie geht bis dahin weiter?

Antwort: Der Großteil der Bevölkerung könne laut von Laer mit der 4. Impfung noch bis September warten, "und da wird dann wohl auch der angepasste Impfstoff da sein". Es sei zudem sehr wahrscheinlich, dass sich BA.4 und das sehr ähnliche BA.5 in den nächsten Wochen durchsetzen und wir mit den beiden Subtypen eine Herbstwelle erleben. "Delta kam auch im Juni, hat sich dann noch unterschwellig gehalten und zum Spätsommer und Herbst hin die Zahlen massiv steigen lassen. Ich denke, wir werden heuer was Ähnliches sehen, zumal BA.4 nochmal ansteckender ist als BA.1 und BA.2", sagt die Virologin.

Frage: Ist das ein Grund zur Sorge?

Antwort: "Wir haben eine gewisse Grundimmunität", stellt Zeitlinger klar. Das Gesundheitssystem wird wohl durch eine Welle mit BA.4 und BA.5 nicht an die Belastungsgrenze kommen. Besorgniserregend sei laut von Laer nur, dass nach wie vor viele über 60-Jährige nicht geimpft sind. "Wenn wir diese Immunitätslücke schließen, könnte man die nächste Welle mit deutlich mehr Gelassenheit durchstehen." (Magdalena Pötsch, 14.5.2022)