Gähnende Leere, hungrige Babys. In den USA fehlt die Babymilch.

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Noch ein Geschäft, wieder dasselbe Ergebnis: Mitten in Manhattan, unweit des Empire State Building, gibt es in der Filiale der Drogeriemarktkette CVS weder das Babymilchpulver von Enfamil noch vom Konkurrenten Gerber oder der Bio-Marke Earth's Best. Ein Target-Supermarkt auf der Upper West Side hat nur ein paar einzelne Dosen im Angebot. Überall in den USA sind die Regale leergeräumt. Wer beim Drogeriehändler Walgreens online bestellen will, erhält die Antwort "ausverkauft".

An Lieferengpässe haben sich die Amerikaner in den zwei Jahren der Corona-Pandemie und der Störung der Nachschubwege einigermaßen gewöhnt. Doch der jüngste Notstand im Land versetzt Eltern zunehmend in Panik und enthält erheblichen politischen Sprengstoff für Präsident Joe Biden: In den USA wird die Säuglingsanfangsnahrung knapp, die Eltern ihren Babys ergänzend oder anstelle von Muttermilch geben. Um 40 bis 50 Prozent hat sich das Angebot nach einer Erhebung der Analysefirma Datasembly in 25 Bundesstaaten reduziert. "Wir wissen um eure Sorgen", versichert Bidens Sprecherin Jen Psaki eilig an die Adresse der besorgten Eltern: "Wir tun alles, was in unserer Macht steht."

Tote Babys und Protektionismus

Doch schnell beenden kann das Weiße Haus den Missstand kaum. Aktueller Auslöser ist die mögliche bakterielle Verunreinigung einiger Chargen des Marktführers Abbott, der seine Produkte unter dem Namen Similac verkauft. Nachdem vier Babys erkrankt und zwei von ihnen sogar gestorben waren, musste der Konzern im Februar seine Fabrik in Michigan schließen. Hinzu kommen strukturelle Eigentümlichkeiten der Branche: Wegen einer restriktiven Regulierung, die Kritiker als diskriminierend bezeichnen, schaffen es nur wenige ausländische Produkte auf den amerikanischen Markt. 80 Prozent des Geschäfts entfallen auf Abbott und dessen Konkurrenten Mead Johnson (Enfamil).

Zusammen mit den allgemeinen Problemen der Lieferketten sorgen diese Faktoren für den perfekten Sturm auf dem Babynahrungsmarkt. Besonders krass ist die Lage in Texas. Dort musste Synquise Winston, eine 29-jährige Mutter, in dieser Woche anderthalb Stunden fahren, um ein paar Dosen Milchpulver für ihr zwei Monate altes Baby zu kaufen. Alle Läden in ihrer Heimatstadt Katy westlich von Houston waren leergekauft. Schließlich wurde sie im 130 Kilometer entfernten College Station fündig. "Es ist ein Roulettespiel", sagte die junge Frau dem "Houston Chronicle": "Selbst wenn es etwas gibt, ist die Abgabe immer limitiert."

Republikanische Babyfreunde

Die oppositionellen Republikaner greifen das Thema dankbar auf und versuchen es neben den explodierenden Benzinpreisen als weiteren Beleg für das Versagen der Biden-Regierung zu verkaufen. Dass die künftige Präsidentensprecherin Karine Jean-Pierre kürzlich offen einräumte, sie wisse nicht, wer in der Administration für den Notstand verantwortlich sei, macht die Sache nicht besser. Einige rechte Abgeordnete streuen nun das Gerücht, die knappe Säuglingsnahrung werde zu den Erstaufnahmezentren für Migranten an der Grenze zu Mexiko geschafft.

Es war also höchste Zeit, dass sich Biden der Sache demonstrativ persönlich annahm. Am Donnerstag empfing er Vertreter von Herstellern und Handelsketten im Weißen Haus. Der Präsident wies die Regierung an, "dringend dafür zu sorgen, dass Säuglingsmilchnahrung für Familien im ganzen Land sicher und verfügbar ist". Dazu sollen Importe aus dem Ausland erleichtert werden. Außerdem will er gegen Wucher vorgehen, nachdem im Netz spezielle Produkte zu deutlich überhöhten Preisen angeboten werden.

Doch verschwinden wird das Problem nach Einschätzung von Experten nicht so schnell. Der Enfamil-Hersteller Mead Johnson lässt seine Maschinen inzwischen schon an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr laufen. Eltern von Babys mit Allergien können aber nicht so einfach von einem Produkt auf ein anderes umsteigen. Marktführer Abbott will nun Babyerstmilch von einer Fabrik in Irland importieren. Doch wird es nach Angaben des Unternehmens Wochen dauern, bis wieder in vollem Umfang geliefert werden kann. (Karl Doemens aus Washington, 13.5.2022)