Zur Feier des 70. Geburtstags des steirischen Landeshauptmanns Hermann Schützenhöfer ließ sich Kurz wieder öffentlich blicken – auch beim ÖVP-Parteitag wird er auf der Bühne stehen

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Tiefenentspannt sei er, sagen die, die ihn kennen: Während manche Politiker nach ihrer Amtszeit in ein tiefes Loch fallen, habe sich Sebastian Kurz schnell an sein neues Leben als Investor und Berater gewöhnt. Zwei Monate habe es gedauert, bis er die politische Realität akzeptiert habe – gezählt vom türkisen Tag X, dem 6. Oktober 2021. Da tauchten in aller Früh Ermittler in ÖVP-Zentrale, Bundeskanzleramt und Finanzministerium auf, um in der Causa Umfragen Hausdurchsuchungen durchzuführen. Kurz selbst wurde von der Razzia verschont: Angeblich, weil man vorab seine Personenschützer informieren hätte müssen und das ein großes Risiko gewesen sei.

Nach drei Tagen emotionaler inner- und außerparteilicher Debatten trat Kurz am 9. Oktober dann "zur Seite", bevor er sich am 2. Dezember endgültig aus der Politik verabschiedete. Dazwischen lag ein kurzes Aufbäumen: Ein Gutachten sollte den Altkanzler reinwaschen und die Rutsche für den Rücktritt vom Rücktritt legen. Doch die öffentliche und interne Meinung war zu eindeutig, um den Comeback-Versuch durchzuziehen.

Der Altkanzler

Der perfekte Abschied aus dem Kanzleramt gelingt nur den wenigsten. Einfacher ist das in anderen politischen Systemen oder Funktionen, wenn etwa nach zwei Amtszeiten Schluss sein muss. Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern: Die roten Vorgänger von Sebastian Kurz haben ihr Amt sicher nicht so niedergelegt, wie sie es sich gewünscht haben. Nun ging zwar auch Kurz nicht so, wie er sich das vorgestellt hat, aber aus den Umständen lässt sich eine passable Erzählung stricken. Besiegt nicht politisch, sondern durch den Versuch, "mit dem Strafrecht Politik zu machen", wie Kurz es unlängst in der Krone paraphrasierte; zum Rücktritt gezwungen vom bösen Koalitionspartner. Und, für Kurz’ Ego vielleicht das Wichtigste: nicht durch Wahlen. Dass Nachfolger Karl Nehammer die Kurz’schen 37,5 Prozent von der Nationalratswahl 2019 erreicht, scheint derzeit unmöglich.

Der Jungvater

Auch die Geburt von Sohn Konstantin Ende November lindert für Kurz den Abschiedsschmerz. Welchen besseren Grund als das erste eigene Kind gäbe es, weniger Zeit mit politischem Hickhack verbringen zu wollen? Immer wieder gibt der Altkanzler seinen nach wie vor zahlreichen Fans auf Facebook einen Einblick in den Alltag als Jungvater. Seine Facebook-Seite mit rund einer Million Followern hat Kurz ebenso wie sein Twitter-Profil mitnehmen können; die Volkspartei und ihr damaliger Obmann hatten zur Frage der Überlassung schon früh einen Vertrag aufgesetzt. Während sein einstiger Vizekanzler Heinz-Christian Strache eine bitterböse Trennung von seiner FPÖ vollzogen hat und mit seiner neuen Facebook-Seite nur mehr über ein Zehntel seiner früheren Fans verfügt, kann Kurz weiterhin ein breites Publikum bedienen. Das macht er teils selbst, prinzipiell kümmert sich ehrenamtlich aber die langjährige Weggefährtin Kristina Rausch, die mittlerweile beim "Campaigning Bureau" arbeitet. Im

Notfall soll auch die ÖVP selbst über einen Zugang verfügen, das sei vertraglich geregelt.

Der Türkise

Rausch ist nicht die Einzige, die sich nach Kurz’ Rücktritt aus der Politik verabschiedet hat. Wer das Twitter-Profil des Altkanzlers verfolgt, kann mitansehen, wie das türkise Projekt langsam abgewickelt wird. Sein langjähriger Vertrauter Gernot Blümel packte noch an jenem Tag seine Sachen im Finanzministerium, an dem Kurz den endgültigen Rücktritt aus der Politik bekanntgab.

Kurz’ Berater, Stefan Steiner, Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann, haben zwar einen Platz im ÖVP-Klub gefunden, das wirkt aber nur wie eine Übergangslösung. Bundesgeschäftsführer Axel Melchior ging zum Großspender und Unternehmer Klaus Ortner. Kabinettschef Bernhard Bonelli gründete ein Investment-Start-up. Nach den Rücktritten von Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck ist aus der türkis-blauen Ära nur mehr Karoline Edtstadler übrig, die aber schon seit jeher ihren eigenen Weg ging – in die Politik gelangte sie nicht mit der türkisen Clique, sondern als Kabinettsmitarbeiterin von Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter.

Der Beschuldigte

Kurz nutzt natürlich jede Gelegenheit, Entlastendes in den Strafverfahren gegen ihn hervorzuheben. Die WKStA teilt seine Ansicht jedoch nicht. Gerade in den Ermittlungen rund um den Verdacht auf Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss gibt es viel Bewegung – und die Ermittler hätten einige Fragen. Die dürfen sie künftig selbst stellen: Eine Vernehmung würde dieses Mal "bei der WKStA stattfinden, weil nach der Meinung" von Oberstaatsanwaltschaft Wien und Justizministerium kein "besonderes öffentliches Interesse" an der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen mehr herrsche, wie es in einer Mitteilung an Kurz-Anwalt Werner Suppan heißt. Der hatte ja zu Kurz’ Zeit als Kanzler auf eine Einvernahme durch einen Richter bestanden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Weltenbummler

Beruflich dürften die Ermittlungen Kurz nicht geschadet haben: Rasch sicherte er sich einen Posten als "Global Strategist" beim US-Milliardär Peter Thiel, der finanziell Rechtsaußen-Kandidaten der US-Republikaner unterstützt. Was genau Kurz bei Thiel macht, ist unklar. Er reist jedenfalls viel, Sohn Konstantin soll schon "in Abu Dhabi, Dubai, Tel Aviv, Jerusalem, München und Zürich und natürlich auch im Waldviertel" gewesen sein. Getwittert wird nun auf Englisch. Da passt dazu, dass sich Kurz nun vor allem für "geopolitische Fragen" interessiert. Mit dem ukrainischen Premier will er in Kontakt stehen; den Antisemitismus auf globaler Ebene bekämpfen. Was er nun lerne? "Man merkt, dass die Welt sehr bunt und breit ist." Davon erzählen kann Kurz am Samstag beim Bundesparteitag der ÖVP, wo er sich endgültig verabschieden will: "Ich hatte wirklich meine Portion an Politik." (Fabian Schmid, 14.5.2022)