Naomi Colvin (Blueprint) und der stellvertretende STANDARD-Chefredakteur Rainer Schüller.

Foto: Patrick Ausserdorfer/Journalismusfest

Medienanwältin Maria Windhager war via Videoschaltung aus Wien mit dabei.

Foto: Patrick Ausserdorfer/Journalismusfest

Innsbruck – Am Freitag startete die erste Auflage des Innsbrucker Journalismusfests. Nach Grußworten vom Bundespräsidenten bis zum Bürgermeister, in denen stets die Bedeutung von unabhängigem und kritischem Journalismus betont wurde, startete die Veranstaltung mit einem vom STANDARD präsentierten Podiumsgespräch zum Thema "Whistleblowing: Zwischen Schutz und Verfolgung", das der stellvertretende Chefredakteur Rainer Schüller moderierte.

Schüllers Gäste auf der Bühne im gut besuchten Innsbrucker Treibhaus – einem von vielen Veranstaltungsorten an diesem Festivalwochenende – waren die Medienanwältin Maria Windhager und Naomi Colvin von der NGO Blueprint for Free Speech. Die beiden Frauen sind Expertinnen, wenn es um den Schutz von medialen Hinweisgeberinnen und -gebern geht. Windhager vertritt nebst anderen beispielsweise den STANDARD, wenn dessen Berichterstattung Mächtigen zu unbequem wird und diese versuchen, das Blatt auf juristischem Wege zum Schweigen zu bringen. Colvin wiederum war viel mit dem Fall Wikileaks und dessen Herausgeber Julian Assange befasst.

600 Slapp-Suits europaweit

Beide Expertinnen waren sich einig, dass die Zahl an juristischen Einschüchterungsversuchen stark im Steigen ist. Colvin sprach von europaweit rund 600 sogenannten Slapp-Suits, also Einschüchterungsklagen gegen Medien oder Medienschaffende. Seit 2016 habe sich diese Art von Klagen verfünffacht. Windhager wiederum erzählte aus ihrem reichen Erfahrungsschatz und davon, dass vor allem freie Journalistinnen und Journalisten, die kein großes Medienhaus im Hintergrund haben, das notfalls Anwältinnen wie sie aufbieten kann, unter solchen Klagen leiden.

Demokratiepolitisch bedenklich sei dies vor allem deshalb, weil dadurch Berichterstattung im Vorhinein beeinflusst werden könne. So sei es mittlerweile Usus, dass jene, die es sich leisten können und die Berichterstattung über sich oder ihre Unternehmungen verhindern wollen, sofort mit Klagen drohen, wenn sie nur eine Medienanfrage erhalten. Solche Strategien können Berichtende gleich zu Beginn von weiteren Recherchen abhalten, so das Kalkül dahinter.

EU-Richtlinie in Österreich noch nicht umgesetzt

Auf europäischer Ebene wurde 2019 eine sogenannte Hinweisgeberrichtlinie für Whistleblower implementiert. Sie soll für mehr Schutz jener Personen sorgen, die sich aus dem inneren einer Organisation heraus trauen, dort vorherrschende Missstände aufzudecken, indem sie diese Informationen an Medien weitergeben. Allerdings ist diese Richtlinie aus Sicht der Expertinnen noch etwas zu zahnlos – und vor allem wird sie von den einzelnen Staaten bislang kaum oder nur unzureichend übernommen. In Österreich, so Windhager, würde in der Regierungskoalition Dissens herrschen, was den Schutz für Whistleblower derzeit erschwert. Während die Grünen weitreichendere Bestimmungen wollen, als auf EU-Ebene vorgesehen, verharre die ÖVP auf der Position, eher weniger umsetzen zu wollen.

Mittlerweile hat der Presseclub Concordia in Wien einen eigenen Rechtsdienst für Medienschaffende eingerichtet, die sich von Slapp-Suits bedroht fühlen oder Hilfe beim Umgang mit Hinweisgebern brauchen. Für die Expertinnen ein wichtiger erster Schritt, dem aber unbedingt weitere, vor allem verbindliche seitens der Behörden folgen müssen, um auch in Zukunft die Sicherheit von für unabhängigen und investigativen Journalismus so wichtigen Whistleblowern garantieren zu können.

Journalismusfest Innsbruck

Das Journalismusfest Innsbruck läuft noch bis Sonntag, den 15. Mai 2022, und bietet im ganzen Stadtgebiet Veranstaltungen bei freiem Eintritt. Der interessierten Öffentlichkeit soll dabei die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten nähergebracht werden. (ars, 13.5.2022)