Student Stas (Luka Vlatković) gerät in einer Ost-West-Diskussion in Rage: "Opium" im Werk X.

Foto: Alex Gotter

Nachdem die russische Besetzung der Ostukraine 2014 begonnen hatte, schrieb der belarussische Autor Witalij Korolew ein Theaterstück über eine prekär lebende Familie, deren älterer der beiden Söhne sich gezwungen sieht, als Söldner in den Donbass zu gehen. Es war eines der ersten Stücke, das die Kriegssituation zum Thema hatte.

Tatsächlich konnte das Sozialdrama, in dem der belarussische Staat und seine Fürsorgepolitik nicht sonderlich gut wegkommen, im Jahr darauf bei einem Theaterfestival in Minsk gezeigt werden. Die Veranstalter selbst waren verwundert. Opium entstand im Rahmen einer geförderten Werkstatt für junge Dramatik und hat nun in der Übersetzung von Lydia Nagel deutschsprachige Erstaufführung im Werk X in Meidling gefeiert.

Wasserrationierung

Im Vorjahr bereits, also vor Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar, hatten die beiden 2023 scheidenden Werk-X-Leiter Ali M. Abdullah und Harald Posch die Übersetzung in Auftrag gegeben.

Opium spielt in der Kleinstadt Rahatschou am Dnjepr und zeigt eine armutsgefährdete dreiköpfige Familie – eine Mutter mit ihren jungen erwachsenen Söhnen –, die mit den Zumutungen von Teuerungen, mieser Grundversorgung (Wasserrationierung) und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat.

Genderpolitisch braucht man hier nicht nachzubohren, die Stereotype werden offensiv zur Schau gestellt: Die Mutter (Sylvia Haider) ist Hausfrau ("Der Borschtsch ist noch warm"), ängstlich und kränklich; ihre Söhne die Macher. Der eine namens Andrej (Niklas Doddo) ringt um einen geförderten Studienplatz und kann nicht fassen, dass seine Freundin Tanja (Josephine Bloéb) ihn verlässt. Der ältere Kolja (Sören Kneidl) hat seine Arbeit als Mechaniker verloren und fühlt sich als alleinig verantwortlicher Ernährer. Weil er in Belarus keine gute Stelle findet, geht er als Söldner in den Donbass. Ein Riesenkonflikt.

Amerika-Hass

Das Stück zeichnet auch das Auseinanderfallen ideologischer Überzeugungen nach: Andrejs Freund Stas (Luka Vlatković) entpuppt sich als Amerika-Hasser, der sämtliche seiner homophoben und antisemitischen Vorurteile in einen Satz gepackt bekommt. Deftige Sprache durchzieht das Stück. Über die Ukraine sagt er (anno 2015): "Unter Janukowitsch hatten die da wenigstens noch ein normales Leben. Und jetzt fressen sie Scheiße! Geschieht denen aber auch ganz recht. Mussten sich ja unbedingt mit Russland anlegen."

Harald Posch schneidet in seiner auf hohem Eskalationsniveau gehaltenen, neunzig Minuten dauernden Inszenierung Fußnoten zur aktuellen Russland-Debatte zwischen die Szenen: Schauspielerin Victoria Nikolaevskaja rekapituliert die Entwicklungen der letzten Monate, listet die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Österreichs mit Russland (auch nach 2014) penibel auf. Das gibt dem Stück einen aktuellen Anstrich.

Visumsantrag abgelehnt

Auf einer hoch aufragenden, zweigeschossigen Gerüstfront (Bühne und Kostüm: Daniel Sommergruber) finden alle Schauplätze des Stücks Platz. Ganz oben die Wohnung der Familie mit Puppenstubenflair, unten die Wohnung des seine Aggressionen beim Computer-Kriegsspiel auslebenden Freundes, plus zwei seitlich im Set sitzende Livemusiker (Maxim Franke und Fritz Rainer an Elektrogeige und Schlagzeug), die zwischendurch gern Dezibelorgien feiern.

Belarussische Dramatik ist im Westen kaum bekannt. Welche Themen Autorinnen und Autoren beschäftigen, ist ab Juni in der neu erscheinenden Belarus-Anthologie von Theater der Zeit nachzulesen. Auch Witalij Korolew ist vertreten. Er wurde zur Premiere nach Wien eingeladen, die österreichische Botschaft in Moskau hat den Visumsantrag abgelehnt. (Margarete Affenzeller, 14.5.2022)