Alle wahlberechtigten Delegierten wählten Karl Nehammer zu ihren neuen Parteichef. Ein bemerkenswertes Ergebnis.

Foto: Heribert Corn

Es war kein Parteitag der leisen Töne. Minutenlang schrie sich der einpeitschende Moderator in der Grazer Helmut-List-Halle die Seele aus dem Leib. Dutzende Parteipersönlichkeiten wurden namentlich aufgerufen, jede einzelne mit frenetischem Applaus bedacht, was von Mal zu Mal den Lärm- und Euphoriepegel erhöhte und eine Hochstimmung erzeugte, die Bundeskanzler Karl Nehammer in seiner Begrüßungsrede zum bedenklichen Ausruf hinreißen ließ: "So viele Leute in einem so kleinen Raum heißt auch: so viele Viren. Aber heute kümmert uns das nicht."

Da mutete wenig später seine Warnung vor der Pandemie schon einigermaßen seltsam an. Aber es war kein Tag des großen Nachdenkens, es sollte Karl Nehammer zum neuen ÖVP-Obmann gewählt werden, was die Delegierten schließlich auch lückenlos befolgten: Der Bundeskanzler wurde mit sagenhaften 100 Prozent zum neuen Obmann der Volkspartei gewählt. Da machten sich die 99, 4 des Sebastian Kurz schon direkt bescheiden aus. Kurzens Vorgänger Reinhold Mitterlehner kam 2014 auf 99,1 Prozent. Also alles relativ.

Die Sicherheitspartei

Jedenfalls: Die Pandemie war an diesem 40. Parteitag der ÖVP in Graz nur eine Randnotiz des großen Generalthemas, unter das der ehemalige Innenminister seine Obmannrede stellte: die Sicherheit. Alles lief hier zusammen. Von der Energiesicherheit bis zur Nahrungsversorgung ("Unsere Bauern und Bäurinnen können das"). Dafür könne in Österreich nur eine politische Kraft eine Garantie geben – eben die Volkspartei. "Wer soll den Menschen Sicherheit geben, wenn nicht die Volkspartei?", fragte Nehammer mit bereits inkludierter Antwort. Und dann schob er Satzgebilde nach wie: "Weil wir wir sind und weil ihr ihr seid", werde die sichere Zukunft Österreichs der Volkspartei gehören.

Wobei, sie habe es nicht leicht, die ÖVP in diesen Monaten. Nehammer unterstrich und beklagte – wie die Redner vor ihm etwa Klubchef August Wöginger -, dass sich die ÖVP in einer Opferposition befinde. Sie werde von der Opposition permanent angefeindet, mit falschen Gerüchten, Unterstellungen, bis hinein ins Private. Die Opposition arbeite sich im U-Ausschuss an der ÖVP ab. Die Partei stehe rund um die Uhr unter Beobachtung, werde ständig angepatzt, klagte Wöginger.

Opfer ÖVP

"Die Opposition kämpft um jeden Preis. Viele Angriffe sind unter der Gürtellinie, weil sie es auf Augenhöhe nicht schaffen", schimpft Nehammer nach, eine Formulierung die im Auditorium – 1.300 Delegierte werden geschätzt – für Vergnügen sorgt. Aber es werde ihnen nicht gelingen, legt Nehammer nach, "wenn sie meine Familie angreifen, dass sie mich einschüchtern können". Die Volkspartei werde stark, je höher der Druck sei.

Dass eben auch zahlreiche Ermittlungen gegen führende Persönlichkeiten der ÖVP geführt werden, greift Nehammer nur kurz auf: "Korruption ist ein ernstzunehmendes Thema. Sie kann uns überall begegnen." Das sei etwas Gesellschaftspolitisches, dürfe aber nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden. Wie eben auch das Thema Transparenz. "Wir sperren uns nicht gegen Informationsfreiheit", sagt der Kanzler, "aber wir sind auch die Partei der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Ja zu Transparenz, aber auch: Ja zu einer funktionierenden Verwaltung, die nicht von Querulanten lahmgelegt werden kann."

Nehammers Visionen

Was sind nun die Visionen; die Zukunftsgedanken des Karl Nehammer? Heruntergebrochen: Zurück zu den Wurzeln – durchaus im bäuerlichen Sinn gemeint. Die ÖVP wurde, nicht nur von Nehammer als Partei der Bürgermeister und Landeshauptleute beschworen. In den Gemeindestuben, in den Ländern verfüge die Partei über Macht und Gestaltungsraum. Wöginger nennt Beispiele: Frühshoppen, Sportanlagen eröffnen, Feuerwehrfeste besuchen: "Das ist unsere DNA, wir sind breit", sagte Wöginger.

Da war auch Sebastian Kurz

Und es war noch ein Gast im Saal: Sebastian Kurz: Er gab sich in einem Interview auf der Bühne zurückhaltend, sehr persönlich, sprach von Schlafproblemen wegen des Babys, und dass er urviel herumreisen müsse. Und er erinnere sich, als er als ganz Junger den ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel – während andere Jugendliche gegen ihn und die schwarzblaue Koalition demonstriert hatten – bewundert habe. Und er zum Unterstützer Schüssels wurde. Es gab verhaltene Standing Ovations, das Auditorium schien vom Auftritt des Sebastian Kurz ein wenig verunsichert. Darf man laut klatschen oder doch nicht?

August Wöginger zeichnete zuvor das Bild der Koalition als Segelschiff, das in den Sturm gerät und dabei ein Segel zerreiße. Aber Kapitän Nehammer steuere das Schiff sicher durch den Sturm. "Du hast das Ruder in der Hand und führst uns in ruhigere Gewässer", wendet sich der Klubchef an Nehammer und die Parteimitglieder.

Zuvor hatte auch schon der Tiroler Landeshauptmann Platter alle im Saal beschworen: "Wir brauchen ein hervorragendes Wahlergebnis. Nehammer ist ein Hammer für die Volkspartei, wählt Karl Nehammer".

An diesem Maisamstag wurde also ein neuer ÖVP-Messias auserkoren. Zumindest einmal für diesen Tag (Walter Müller, 14.5.2022)