Eine Kalifornische Zweipunktkrake. So wie bei den meisten anderen Oktopusarten endet bei diesen Kraken das Leben der Weibchen nach der Vermehrung.
Foto: Jeremy Selan / gemeinfrei

Es ist einem Buch zu verdanken, dass die Oktopoden und ihre faszinierenden Eigenschaften in den letzten Jahren mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhielten: In ihrem Beststeller "Rendezvous mit einem Oktopus" aus dem Jahr 2017 schreibt die US-Naturforscherin und Autorin Sy Montgomery mit viel Empathie von ihren Begegnungen mit diesen erstaunlichen Kreaturen, deren Entwicklungslinie sich bereits vor ein paar hundert Millionen Jahren von jener des Menschen trennte.

Auch wenn deren Physiologie und Anatomie für uns Menschen schwer nachvollziehbar ist – die Weichtiere verfügen nicht nur über acht Arme, sondern auch über drei Herzen und ein über den Körper verteiltes Gehirn –, so zeigen die Oktopoden auch "menschliche" Eigenschaften: Sie sind intelligent, können lernen, spielen gerne und sind wahre Meister des Tarnens und Täuschens.

Real Science

Eine der Besonderheiten der Tiere beschreibt Montgomery ausführlich und mit viel Empathie am Ende ihres Buchs: Als nämlich die Riesenkraken-Dame Octavia nach der Eiablage in ihrem Aquarium noch einmal auftaucht, um Montgomery und ihre Pfleger ein letztes Mal mit ihren Armen zu umfassen. Dann stirbt sie langsam – so wie die meisten weiblichen Oktopoden nach der erfolgreichen Fortpflanzung.

Unabänderliche "Selbstzerstörung"

Dieser Prozess verläuft immer recht ähnlich: Nachdem die Fortpflanzung mit der Eiablage beendet ist, stellen die weiblichen Tiere das Fressen ein. Sie verlieren an Farbe und Muskulatur, ihr Augenlicht wird immer schlechter. Viele der weiblichen Weichtiere beginnen, sich zu verletzen. Einige reiben sich am Kies des Meeresbodens und schädigen ihre Haut; andere benutzen ihre Saugnäpfe, um sich zu verletzen. In einigen Fällen fressen sie sogar ihre eigenen Arme.

Die Forschung weiß seit einiger Zeit, dass die beiden sogenannten Sehnervendrüsen das gesamte Fortpflanzungsverhalten der Weichtiere und damit auch das programmierte Sterben steuern dürften. Werden beide Drüsen – die nichts mit dem Sehen zu tun haben, sondern nur deshalb so genannt werden, weil sie zwischen den Augen des Tieres liegen – chirurgisch entfernt, verlässt das Weibchen seine Brut, beginnt wieder zu fressen, wächst und hat eine längere Lebensdauer.

Neue Aufschlüsse über die Hormone

Diese Drüsen funktionieren ähnlich wie die Hypophyse bei Wirbeltieren: Sie sondern Hormone und andere Produkte ab, die verschiedene Prozesse im Körper der Tiere steuern. Eine Gruppe um Z. Yan Wang, Biologin an der University of Washington, hat am Beispiel der Kalifornischen Zweipunktkrake (Octopus bimaculoides) nun im Detail untersucht, welche der Hormone die drei Phasen des Fortpflanzungsprozesses der Kraken steuern, deren dritte zum unvermeidlichen Ende der Krakenmütter führt.

Am Beispiel der Kalifornischen Zweipunktkrake konnte das Rätsel der Selbstzerstörung der Weibchen gelöst werden.
Partial Pressure Productions

Bei den chemischen Analysen zeigte sich, dass die Drüsen in der ersten Fortpflanzungsphase Pregnenolon und Progesteron erzeugen, was nicht überraschend ist, da diese Stoffe auch von vielen anderen Tieren zur Unterstützung der Fortpflanzung produziert werden. In der zweiten Phase produzieren sie die Vorstufen von Gallensäuren, welche die Aufnahme von Nahrungsfetten fördern, sowie in der dritten Phase 7-Dehydrocholesterin (7-DHC). Und hier wird es interessant.

7-DHC wird nämlich auch in vielen Wirbeltieren gebildet. Beim Menschen hat es verschiedene Funktionen, u. a. spielt es eine wichtige Rolle bei der Produktion von Cholesterin und Vitamin D. Erhöhte 7-DHC-Konzentrationen sind jedoch toxisch und werden mit Störungen wie dem Smith-Lemli-Opitz-Syndrom in Verbindung gebracht, einer seltenen Erbkrankheit, die durch schwere intellektuelle Probleme, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten gekennzeichnet ist.

Wang und ihre Kolleginnen und Kollegen kommen in ihrer Untersuchung entsprechend zum Schluss, dass 7-DHC bei Tintenfischen der entscheidende Faktor sein dürfte, der das selbstschädigende Verhaltens auslöst, das zum Tod führt.

Gleiche Moleküle für ähnliches Verhalten

Neben der Lösung des Rätsels hält Wang aber noch eine grundsätzlichere Erkenntnis aus der Studie für wichtig: Obwohl sich die Entwicklungslinien der Weichtiere und der Säugetiere so früh trennten, nutzen sie die gleichen oder ganz ähnliche Moleküle für ähnliche körpereigene Vorgänge und diese führen auch zu vergleichbaren Symptomen.

Das Sterben von uns Zweibeinern und das der Achtfüßer sei aber grundverschieden: Während es beim Menschen im Normalfall zum Versagen einzelner Organe und ihrer Funktionen kommt, sorgt bei den Oktopussen das Gesamtsystem für den Tod. (Klaus Taschwer, 16.5.2022)

Während die Mutter langsam stirbt, schlüpfen die kleinen Kraken.
Marine Biological Laboratory