Größeres Gehirn – mehr kognitive Leistung: Dieser Zusammenhang mag naheliegend erscheinen, doch in Wahrheit ist dies keineswegs so eindeutig. Im Tierreich gibt Vertreter mit relativ großen Denkorganen, die bei weitem nicht an die Fähigkeiten des Menschen heranreichen. Bei unserer Spezies gibt es viele Hinweise, dass der Intelligenzquotient (IQ) tendenziell mit dem Hirnvolumen ansteigt. Laut einer neuen Überblicksstudie von Wiener Forschern wird dieser Zusammenhang aber oft überschätzt.

Im Fachmagazin "Royal Society Open Science" präsentiert das Team um Jakob Pietschnig von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien die Ergebnisse der Analyse von insgesamt 86 Studien mit mehr als 26.000 Versuchspersonen. Seit über 200 Jahren wird in der Fachwelt über den Zusammenhang sinniert. So gehen manche Forscher beispielsweise davon aus, dass ein größeres Gehirn mit mehr Nervenzellen komplexere und schnellere Informationsverarbeitung ermöglicht.

Großes Hirn hat mehr Reserven

Andere Theorien gehen in die Richtung, dass es ein größeres Gehirnvolumen Menschen eher ermöglicht, etwa altersbedingte Ausfälle zu kompensieren – also ein großes Hirn mehr Reserven bereithält. Um sich diesen Fragen anzunähern, sollte man aber zumindest einigermaßen präzise wissen, wie groß der Effekt eigentlich ist, schreiben die Forscher in der Arbeit. Wirklich messen könne man das erst in Kombination gut abgesicherter Intelligenztests und den Möglichkeiten zur exakten Vermessung des Gehirns mittels Magnetresonanztomographie (MRT).

In solchen Studien zeigte sich der Zusammenhang immer wieder, die Unterschiede in den Resultaten waren jedoch mitunter sehr groß. Das liege auch an unterschiedlichen Grundannahmen von Untersuchung zu Untersuchung, an verschiedenen Studiendesigns oder statistischen Auswertungen bzw. bestimmten subtilen Verzerrungen, die letztlich auch Ergebnisse beeinflussen können.

Andere Ergebnisse

Frühere Überblicksstudien, die mehrere Untersuchungen zusammenfassten, kamen zu dem Schluss, dass mit der Gehirngröße zwischen sechs und elf Prozent der beobachteten IQ-Unterschiede innerhalb jenes Bereichs, wo die meisten Testresultate zu erwarten sind, erklärt werden können.

Die Untersuchung von Pietschnig und Kollegen schließt nun deutlich mehr Studien und Versuchspersonen ein als vorherige sogenannte "Metastudien". Die Wiener Wissenschafter kommen darin zu dem Schluss, dass ein größeres Gehirn im Durchschnitt eher um die sechs bis acht Prozent dieser Unterschiede erklären kann.

Insgesamt präsentierte sich der Effekt zwar erstaunlich robust, seine Stärke sei aber eher klein bis mittelmäßig ausgeprägt, so ein Fazit. Nochmals kleiner erschien er, wenn sich die Wissenschafter nur auf die im Verbal- oder Handlungsteil eines Intelligenztests erzielten Ergebnisse fokussierten. (red, APA, 15.5.2022)