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Inspektion der Turbine in einem Gaskraftwerk: Seit die Gaspreise nach oben geschossen sind, ist diese Form der Stromerzeugung besonders teuer.

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Rekordverdächtig hohe Strompreise, dazu überschießende Gewinne von Stromproduzenten, die wie die Verbund AG mit teilweise abgeschriebenen Wasserkraftwerken günstig Strom produzieren, zudem Haushalte und Industrie, die mit Rechnungen konfrontiert sind, die noch nie so hoch waren: All das hat die Diskussion um die Preisbildung an den europäischen Strombörsen dynamisiert. Nun gibt es mehr und mehr Experten, die vor den Folgen eines Eingriffs in den Markt warnen.

"Ich halte die Diskussion darüber für sehr gefährlich," sagt Veronika Grimm, die Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt und Mitglied im Sachverständigenrat der deutschen Bundesregierung ist. Man schaffe dadurch Unsicherheit hinsichtlich der Preisbildung. Das wiederum habe zur Folge, dass Investitionen ausblieben, weil Investoren das nötige Vertrauen fehle – ein Teufelskreis.

Kein besseres System

"Man redet das System kaputt und sieht sich dann bestätigt, dass es auch nicht funktioniert. Das ist eine sehr problematische Entwicklung in meinen Augen", sagte Grimm dem STANDARD. Und: "In der Diskussion vermisse ich Ideen, wie man es besser machen könnte."

Tatsächlich hat das System der Preisfindung über die sogenannte Merit-Order (siehe Wissen) 20 Jahre lang klaglos funktioniert. Industrie und Haushalte haben sich nach Berechnungen der Österreichischen Energieagentur im Auftrag der Regulierungsbehörde E-Control seit 2001, dem Beginn der Liberalisierung der Strommärkte in Europa, allein in Österreich mehr als 13 Milliarden Euro erspart. Zuvor hatten der Kunde oder die Kundin keine Wahl, was den Stromlieferanten betrifft; sie waren dem regionalen Monopolunternehmen zugeordnet. Und es gab behördlich festgelegte Tarife.

Seitdem die Gaspreise im vorigen Herbst und noch mehr mit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine im diesjährigen Februar in nie gesehene Höhen geklettert sind, hat die Diskussion um ein besseres System der Preisfindung bei Strom eingesetzt. Strom wird in Europa nicht nur mittels Wasserkraft, Wind, Sonne oder Biomasse erzeugt, sondern auch in Atomkraft-, Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken.

Europas Regulatoren für andere Hilfen

Letztere sind wegen des hohen Gaspreises seit Monaten die teuersten – und bestimmen in den Zeiten, in denen sie aus Mangel an günstigeren Alternativen zur Deckung der Stromnachfrage hochgefahren werden müssen, den Preis für alle vorgelagerten Kraftwerke mit.

Der Verband der europäischen Energieregulatoren (Acer) hat sich kürzlich den Kopf über ein besseres System der Preisfindung zerbrochen. Ergebnis in Kurzform: Ein effizienteres System gibt es nicht, helft lieber denen, die besonders stark unter den augenblicklich hohen Strompreisen leiden.

Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft in der E-Control, verteidigt den Merit-Order-Ansatz ebenfalls. "Das Vorteilhafte an diesen Auktionen ist, dass es um die Kosten und um nichts anderes geht. Überall sonst hat man Spekulation drinnen", sagt Mayer.

Preissignale für Investitionen wichtig

"Angenommen, jemand produziert seine Tomaten teuer in einem mit Gas beheizten Glashaus, und ein zweiter Anbieter schafft das günstiger ohne Gas. Jetzt kommt der billige Anbieter auf den Markt und sieht, dass die Leute seinem Konkurrenten die Ware um vielleicht fünf Euro das Kilo abkaufen. Der günstigere Anbieter wird sagen, ich verkaufe um 4,90 oder 4,99 Euro das Kilo und mache mehr Gewinn." Dasselbe Verhalten sei auf dem Strommarkt zu beobachten. Dieses Verhalten könne nur durch Preisregulierung ausgeschaltet werden – dann aber fehlten Preissignale für Investitionen. (Günther Strobl, 16.5.2022)