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Der türkische Ärger darüber, dass die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK in der EU zwar als Terrororganisation verboten ist, aber in europäischen Staaten gleichzeitig bei allerhand Aktivitäten im PKK-Fahrwasser weggeschaut wird, ist ein Kontinuum in den Beziehungen. Vor allem die aktive linke kurdische Szene in Nordeuropa ist Ankara ein Dorn im Auge. Dazu kommt, dass diese Länder traditionell besonders wenig Scheu zeigen, international staatliche Menschenrechtsverletzungen anzusprechen – nicht nur, aber auch solche in der Türkei.

Insofern ist der türkische Querschuss zum möglichen Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens keine ganz große Überraschung. Die Reaktionen innerhalb des Verteidigungsbündnisses zeigen aber auch, dass man weiß, dass der Schlüssel, um Ankara zu besänftigen, nicht nur in Helsinki oder Stockholm liegt. Denn wenn Ankara als Argument seine nationale Sicherheit anführt, ist klar, an wen sich die Klagen vor allem richten: Präsident Recep Tayyip Erdoğan schlägt den Sack – Finnland und Schweden – und meint den Esel – den Nato-Partner USA.

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Wie lange geht Erdoğans Drahtseilakt zwischen Russland und den USA noch gut?
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Die Syrien-Politik der USA ist Ankara ein Dorn im Auge

Washingtons Umgang mit Gruppen, die für die Türkei unter PKK laufen, ist für Ankara noch schmerzlicher. Es gibt ein ganz aktuelles Beispiel: Die USA haben vor wenigen Tagen angekündigt, einige nicht unter Kontrolle des Assad-Regimes stehende Gebiete in Nordsyrien von den US-Sanktionen zu befreien. Davon profitiert vor allem die syrisch-kurdische Miliz YPG, die die USA gegen den "Islamischen Staat" aufgerüstet haben und die für Ankara schlicht eine Unterorganisation der PKK ist.

Aber die türkischen Vorhaltungen gegen die USA gehen noch weiter – und nicht zum ersten Mal versucht Erdoğan US- und Nato-Interessen gegen die russischen auszuspielen. Nicht umsonst erstand das Nato-Mitglied das russische Raketenabwehrsystem S-400. Das steht in direktem Zusammenhang mit den Waffensystemen, die die Türkei von den USA nicht bekommt. Plump gesagt: Würde Washington Ankara wieder in sein F-35-Programm – Kampfjets – aufnehmen, wären wohl viele Unstimmigkeiten schnell gelöst.

Dennoch sollte man auch nicht unterschätzen, wie schwierig es für die Türkei ist, ihre Nato-Mitgliedschaft mit ihrer Regionalpolitik im Nahen Osten und Nordafrika abzugleichen, wo ihr der neue russische Einfluss auf Schritt und Tritt begegnet. Es gibt keinen Nato-Staat, dem Moskau außerhalb des Nato-Kontextes in seiner unmittelbaren Umgebung so schaden kann.

Erdoğan versucht den Seiltanz

Erdoğans Einflusspolitik am Mittelmeer hängt immer wieder an Kompromissen mit Russland, das meist auf der anderen Seite steht: Am deutlichsten abzulesen ist das in Syrien, wo die türkische Präsenz mit Moskau akkordiert ist, das das Assad-Regime unterstützt. Auch in Libyen herrscht ein prekäres Patt zwischen der Türkei und Russland beziehungsweise deren Klienten.

Die Nato-Erweiterung dient der Türkei nun als ein willkommenes Instrument, um für Russland an Gewicht zu gewinnen. Moskau hat jedes Interesse daran, dass Ankara – das einerseits Kiew unterstützt, sich andererseits den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen hat – im Ukraine-Krieg nicht vollends auf die US- und EU-Seite rutscht. Einstweilen tanzt Erdoğan geschickt auf dem Seil. Aber es wird der Moment kommen, in dem er sich entscheiden muss. (Gudrun Harrer, 15.5.2022)