Im Gastblog haben die Nachwuchsjournalistinnen Elisabeth Weissitsch, Andrea Krapf und Chiara Köck mit der EU-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter gesprochen.

24 Stunden am Tag Berichte über die Ukraine. Analysen, Interviews und gedrückte Stimmung. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist der Umfang der Berichterstattung im ORF-Korrespondent:innenbüro in Brüssel stark gestiegen, weshalb anfangs kaum Zeit für die Reflexion der Geschehnisse blieb. "Es geht einem nahe, auch wenn wir nicht direkt an der Front stehen wie unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz", berichtet Raffaela Schaidreiter, die EU-Korrespondentin und Leiterin des Büros in Brüssel.

Raffaela Schaidreiter im Gespräch mit drei Nachwuchsjournalistinnen.
Foto: Medienakademie

Direkt sind dafür der Austausch und die enge Zusammenarbeit mit anderen Korrespondentinnen und Korrespondenten, speziell mit der Dienststelle in Moskau. Inhaltlich haben sich auch die Themengebiete geändert – was einst rein "Kontakte" zu Nato- Mitarbeiterinnen und Nato-Mitarbeitern waren, stellt nun zentrale Informantinnen und Informanten über Kriegslieferungen dar, "Instrumente und Waffen, die Leben zerstören".

Nicht nur die Themen und Geschehnisse sind belastend, auch der Journalismus steht durch den Konflikt vor neuen Herausforderungen. Als ein Beispiel dafür nennt Schaidreiter die zur Neige gehenden finanziellen Ressourcen ukrainischer Kolleginnen und Kollegen. Weiters nennt sie das Sanktionspaket der EU-Kommission, durch das die russischen Medien "Sputnik" und "Russia Today" gesperrt wurden, um Propaganda zu reduzieren.

Dass neue Themen und Einflüsse den Journalismus abseits dramatischer Kriegsszenen aber auch bereichern können, wird durch ihren persönlichen Lebensweg sichtbar. Die Forstwissenschafterin benötigt ihr Wissen in vielen Bereichen, etwa beim Klima- und Umweltschutz. Auch neue Gesetzesvorhaben oder Auswirkungen auf das tägliche Leben seien davon betroffen: "Wie wir leben, wo wir bauen, womit wir uns fortbewegen." Dieser naturwissenschaftlicher Zugang helfe ihr auch, in Interviews Dinge anders zu hinterfragen.

"Frauen werden immer sichtbarer"

Schaidreiter hat zudem Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Auch wenn sie mit der Zeit ein Gespür und Verständnis für die Prozesse, die sich innerhalb der EU abspielen, bekommen hat, würde sie sich nicht als primäre EU-Expertin bezeichnen. Sie betont, dass der Zugang zu Expertinnenwissen und Expertenwissen in Brüssel einfach sei, denn es gebe ein "großes Sammelsurium von Wissensquellen wie Thinktanks, Organisationen und Politikerinnen und Politiker". Im internationalen Vergleich werde in Österreich viel über die EU berichtet, "denn für den ORF hat Europapolitik einen hohen Stellenwert". In Staaten wie Frankreich komme man damit kaum in die Hauptnachrichten. Schaidreiter betont aber: "Ich sehe mich nicht als Anwältin der EU", und meint damit ihre Rolle als EU-Korrespondentin. Ihre Aufgabe bestehe darin, zu beobachten und Entwicklungen aufzuzeigen, nicht die EU zu verteidigen. Zuseherinnen und Zusehern solle damit die Möglichkeit der eigenen Meinungsbildung erleichtert werden. Mit einem Mittelmaß zwischen positivem und negativem Feedback wisse sie, dass sie auf dem richtigen Weg sei.

Auch in puncto Gleichstellung von Frau und Mann zieht sie eine vergleichsweise positive Bilanz: "Frauen werden immer sichtbarer." Auch wenn es im ORF immer ausgewogener wird, ist sie die erste Frau, die das Büro in Brüssel leitet. "Dass mehr Frauen an die Spitze kommen, hängt auch mit dem Generationenwechsel zusammen, und das wird immer selbstverständlicher."

Die Bedeutung der EU ist für sie daher vielschichtig: Grenznah zu Deutschland aufgewachsen, war eine Passkontrolle beim Verwandtschaftsbesuch in Bayern für Schaidreiter Routine, aber: "Ich bin auch ein Kind der Generation Erasmus." (Chiara Köck, Andrea Krapf, Elisabeth Weissitsch, 16.5.2022)