Ein Polizist vor dem Supermarkt in Buffalo, in dem der rechtsextreme Terrorakt zehn Menschenleben gefordert hat.

Foto: AP/Matt Rourke

Zehn Tote, die meisten davon Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner, und mehrere Verletzte forderten die Schüsse eines 18-Jährigen in einem Supermarkt in Buffalo (New York), ehe er von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Mittlerweile werden die Hintergründe zu den Szenen von Samstag klarer. Die Behörden untersuchen den Fall als "rassistisch motivierten, gewalttätigen Extremismus", oder in anderen Worten: rechten Terror.

Einmal mehr war es auch eine Tat, die wohl online angekündigt worden war. Auf verschiedenen Plattformen verkehrte der mutmaßliche Täter, bei dem es sich laut Behörden um Payton G. handeln soll, unter dem Namen "jimboboiii". Wie es aussieht, hat er sich im Netz radikalisiert und seine Tat live übertragen. Auszüge des Streams kursieren weiterhin und zwingen Facebook und Co, sich einer Schnitzeljagd zu stellen.

"Der große Austausch"

Dass die Tat Parallelen zum Anschlag auf zwei Moscheen 2019 in Christchurch aufweist, ist kein Zufall. G. hatte im Vorfeld seiner Tat ein 180 Seiten umfassendes "Manifest" veröffentlicht, das auch Verweise auf den Anschlag in Neuseeland enthält. Die ideologische Grundlage dafür ist der "große Austausch" ("The Great Replacement"). Dieser meint eine stille Invasion durch Massenmigration zum Zwecke der Ablöse weißer Mehrheitsbevölkerungen. Die Erzählung ist in verschiedenen rechtsextremen Kreisen populär. Sie wurde und wird beispielsweise auch immer wieder von Gruppierungen wie den "Identitären" aufgegriffen.

Die Lösung, so die grobe Zusammenfassung des Manifests des Christchurch-Attentäters, besteht aus massiven Verschärfungen von Einwanderungsgesetzen und darin, Frauen vor allem in die Mutterrolle zu drängen, um die Geburtenrate anzukurbeln – und in Gewalt. Die meisten Länder hätten dereinst ihre Grenzen erkämpft, und seit jeher fuße Macht auf physischer Gewalt. Dabei wird das eigene Handeln zum Märtyrertum verklärt. Auch wenn es viele Fehlschläge geben werde, sei es in Ordnung, den eigenen Tod im Sinne des höheren Zwecks in Kauf zu nehmen, um die "weiße Rasse" zu retten.

Auch eine andere Plattform rückt durch den Terrorakt von Buffalo wieder in den Fokus: 4chan. "Dort habe ich durch Infografiken, Shitposts und Memes gelernt, dass die weiße Rasse ausstirbt, dass Schwarze überproportional Weiße töten, dass der durchschnittliche Schwarze in seinem Leben Steuerzahler 700.000 Dollar kostet", schreibt G. in seinem eigenen Werk. "Und dass die Juden und die Eliten dahinterstecken." Auch die Wahl es Tatorts war kein Zufall, denn dort gibt es nach Ansicht des mutmaßlichen Täters den höchsten Anteil nichtweißer Menschen in seiner Umgebung.

Joe Biden verurteilt die Tat des 18-Jährigen, der zehn Menschen aus Hass auf Afroamerikaner:innen erschossen haben soll. Wieder gibt es Kritik am US-Waffengesetz.
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Tat war womöglich angekündigt worden

Plattformen wie 4chan oder 8chan bestehen aus Foren, die anonym verwendbar und praktisch unmoderiert sind. Während viele Inhalte sich nicht von "gewöhnlichen" Foren oder Social Networks unterscheiden, florieren hier auch Verschwörungstheorien und radikale Inhalte, denen anderswo kein Platz eingeräumt wird.

Es kursieren Screenshots, die zeigen sollen, dass G. einen privaten Server beim vorwiegend für Voicechat genutzten Service Discord betrieben haben soll. Dort habe es demnach auch sehr konkrete Ankündigungen und Pläne gegeben, die vor Samstag gepostet worden waren. Die Echtheit dieser Screenshots ist allerdings nicht bestätigt. Die Angaben werden untersucht, hieß es seitens Discord zur "New York Times".

Eingeräumt hat hingegen die Streaming-Plattform Twitch, dass der Angriff auf die Besucher und Angestellten des Supermarkts live übertragen worden war. Allerdings, so erklärt das im Besitz von Amazon befindliche Unternehmen gegenüber Kotaku, habe man den Stream in weniger als zwei Minuten nach Beginn der Gewalttaten abgeschaltet. Der Account "jimboboiii" wurde mittlerweile entfernt.

Schnitzeljagd

Was sich nun ebenfalls wiederholt, ist eine Schnitzeljagd für soziale Netzwerke wie Facebook, Tiktok und Twitter. Denn trotz des schnellen Stopps der Liveübertragung fand diese genügend Publikum. Einige Zuseher fertigten Mitschnitte in Form von kurzen Clips und Screenshots an und verbreiten diese weiter.

Und diese erreichen teilweise beträchtliche Userzahlen. In einem Fall, so berichtet die "New York Times", soll ein Facebook-Posting, das einen Link zu einer Aufzeichnung enthält, 1,8 Millionen Mal aufgerufen worden sein. Wie viele Betrachter tatsächlich der Weiterleitung zum Video folgten, ist nicht klar. Es ist allerdings anekdotische Evidenz dafür, dass Facebooks automatische Sicherheitsmechanismen in diesem Fall nicht angesprungen sind. Die "Washington Post" dokumentierte, dass zumindest am Sonntag Kopien des Livestream-Videos noch ohne größere Probleme auf Twitter und Tiktok zu finden waren.

Die Betreiberfirmen haben sich mittlerweile auch zu Wort gemeldet. Man sehe die Aufzeichnung als "schädlich für die Gesellschaft" an und halte daher eine Einschränkung seiner Verbreitung für angebracht, um die Verbreitung seiner "hasserfüllten und diskriminierenden Botschaften" zu verhindern, erklärte Twitter zur Causa.

Der Facebook-Mutterkonzern Meta hat die Tat als Terrorismus eingestuft und die Aufzeichnung in seine Datenbank aufgenommen, sodass weitere Uploads direkt auf die Plattform automatisch verhindert werden sollen. Beide Firmen hatten bereits nach dem Christchurch-Attentat – das als erster live gestreamter Gewaltakt dieser Art eine Zäsur darstellte – angekündigt, ihre Erkennungssysteme zu erweitern. (gpi, 16.5.2022)