Wien – Von den rund 5.350 in Österreich gezählten Journalistinnen und Journalisten ist ein Drittel lokaljournalistisch tätig. Mehr als genug also, um mit dem neuen "Journalismus Report" des Medienhauses Wien eine Bestandsaufnahme über Lokaljournalismus und Innovation zu liefern. Inhaltlich geht es im Buch einerseits um empirische Forschungsbefunde und andererseits um Berichte von Expertinnen und Experten aus der journalistischen Praxis. Die Herausgeberinnen und Herausgeber sind Andy Kaltenbrunner, Sonja Luef, Renée Lugschitz, Matthias Karmasin und Daniela Kraus.
Regionale Digitalangebote unterentwickelt
In Österreich sind regionale journalistische Digitalangebote im internationalen Vergleich noch unterentwickelt, schreiben Sonja Luef und Andy Kaltenbrunner. Natürlich gebe es Regionalmedien, die aus dem Print- und Rundfunkbereich kommen, Websites betreiben und Social-Media-Seiten bespielen, nur: "Für Digitalmedien, die außerhalb von Legacy Media entstanden sind, gibt es in Österreich aber im Gegensatz zu anderen europäischen Medienmärkten wie Skandinavien, den Niederlanden, Europas Süden, aber auch den deutschsprachigen Nachbarländern noch kaum Beispiele."
Hohe Eigentumskonzentration, fehlende Förderungen
Nur zwei Prozent der österreichischen Journalistinnen und Journalisten waren 2018/19 bei Online-Medien beschäftigt, die nicht mit traditionellen Print- oder Rundfunkmarken verbunden sind. Ein Grund dafür seien vor allem die hohe Eigentumskonzentration bei Medien und das Fehlen gezielter Fördermodelle. Als positives Beispiel erwähnen Luef und Kaltenbrunner die Wiener Medienförderung, die sich an Qualitätskriterien orientiert und regionale Projekte fördert. Im Gegensatz etwa zur kürzlich beschlossenen Digitaltransformationsförderung, die reine Onlinemedien ausschließt.
Eine breitere Förderung journalistischer Innovationen sei entsprechend auch ein unausgeschöpftes Potenzial in der österreichischen Medienlandschaft, dem sich die Politik bundesweit widmen sollte. In Österreichs deutschsprachigen Nachbarländern experimentieren sehr viel mehr journalistische Start-ups mit innovativen Methoden der Finanzierung. Als Beispiel wird etwa Crowdfunding genannt.
Informationen über Corona
In Zeiten der Pandemie ist Lokaljournalismus noch wichtiger geworden, das dokumentiert etwa eine Untersuchung aus Deutschland, das mit Österreich vergleichbar ist. Eine von den deutschen Medienanstalten durchgeführte Studie zeigt, dass für rund 80 Prozent der Deutschen "Informationen zur Corona-Lage" aus der "unmittelbaren Umgebung" eher oder sehr wichtig sind. Ähnlich sehen die Daten für Österreich aus: Auch hier bestehe eine große Verbundenheit mit der lokalen Umgebung, schreiben Florian Woschnagg, Andy Kaltenbrunner und Matthias Karmasin in ihrem Beitrag "Österreichischer Lokaljournalismus und die Corona-Pandemie".
Der "Reuters Digital News Report 2021" bescheinigte den österreichischen Regional- und Lokalzeitungen einen überdurchschnittlichen Vertrauenszuwachs und zeigt, dass die Rezipientinnen und Rezipienten in den lokalen Nachrichten vor allem Informationen zu unmittelbaren Auswirkungen der Covid-19-Pandemie suchen. Dafür nutzen sie in erster Linie lokale oder regionale Fernsehsender und deren Websites (25,9 Prozent) oder lokale und regionale (Gratis-)Zeitungen und deren Websites (21 Prozent). Jüngere Menschen (18 bis 34 Jahre) tendieren dazu, mehr Informationen zusätzlich aus lokalen Gruppen und Seiten aus sozialen Medien und Suchmaschinen zu beziehen.
"Glokalisierung"
Zu Beginn der Corona-Krise seien vor allem "globale Informationen" von Interesse gewesen, um einen generellen Überblick über die Covid-19-Situation zu bekommen. Kam es aber zu unmittelbaren Maßnahmen, wurde der Fokus auf die lokale Ebene gelegt – um sich bei Lockerungen von Maßnahmen wieder auf die globale Ebene zu erweitern, heißt es. Der Medienkonsum in der Pandemie lasse sich mit dem Begriff der "Glokalisierung" umreißen, der "gleichzeitigen und gegenseitigen Durchdringung" des "Globalen" und des "Lokalen".
Konstruktiver Journalismus
Eine Antwort, um Leserinnen und Leser langfristig bei der Stange zu halten, könnte konstruktiver Journalismus sein. In Österreich sei diese Art des Journalismus, der Lösungen in den Mittelpunkt stellt, noch unterentwickelt. Aufholbedarf und Potenzial sehen die Autorinnen und Autoren des "Journalismus Report" auch noch bei der Partizipation der Leserinnen und Leser in Sachen Themenfindung und Recherche. Positiv erwähnt wird hier etwa eine Aktion der "bz – Wiener Bezirkszeitung". Unter dem Motto "Träum dein Wien" wurden Verbesserungsvorschläge für die Stadt gesucht. Mehr als 1.000 Ideen wurden eingereicht, manche davon von der Bezirkspolitik aufgegriffen.
Grätzelberichterstattung der APA
Beim Schritt ins Hyperlokale kann künstliche Intelligenz helfen, das zeigte die Nachrichtenagentur APA bei den Wien-Wahlen 2020. Nicht nur die Wahlergebnisse der Bezirke, sondern sogar der Wiener Grätzeln wurden als Meldungen ausgeliefert. Möglich war das durch eine in monatelanger datenjournalistischer Arbeit erstellte Grätzelsystematik Wiens auf Basis der Wahlsprengel. Auch relevante Gemeindebauten wurden derart definiert, erklärt Katharina Schell von der APA in einem Beitrag. "Die Ressourcen, an die 2.200 Gemeindetexte oder auch 'nur' 270 Grätzelgeschichten an einem Wahlabend zu schreiben, wird sich allerdings keine Redaktion leisten." Deswegen komme eine Software ins Spiel, die diese Aufgabe übernehme.
Diversität hinkt nach
Defizite orten die Autoren Andy Kaltenbrunner und Renée Lugschitz in puncto Diversität. Sie habe in Lokalredaktionen einen geringeren Stellenwert als in anderen Ressorts. So sei zwar das Geschlechterverhältnis so gut wie ausgeglichen, allerdings gelte das nur für die untere Hierarchieebene: Trotz eines größeren Anteils von Frauen liegt der Anteil an weiblichen Führungskräften im Lokaljournalismus mit 29 Prozent unter jenem der Gesamtpopulation (33 Prozent). Besonders deutlich werde die fehlende Diversität beim Aspekt der Ethnizität: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Lokalredaktionen unterrepräsentiert – noch deutlich mehr als im österreichischen Journalismus insgesamt. "Nur fünf Prozent der Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten haben einen deutschsprachigen oder nicht-deutschsprachigen Migrationshintergrund, aber etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung." (red, 17.5.2022)