Im Gastblog erklärt die Juristin Julia Andras, welchen Einfluss der Wille des Kindes auf das Kontaktrecht gegenüber den Eltern hat.

In der letzten Ausgabe unseres Blogs behandelten wir einen schwierigen Fall des Kontaktverhältnisses zwischen Kind und Elternteil. Konkret ging es um "psychische Kindesmisshandlung" durch die Mutter, welche den Sohn spüren ließe, dass er zu seinem Vater keinen Kontakt haben soll. Über die betroffene Mutter wurde eine Geldstrafe verhängt. Im hier aktuellen Fall geht es ebenfalls um den Kontakt zwischen Eltern und Kindern, diesmal aber um die Berücksichtigung des Willens des Kindes bei der Entscheidung, ob es zur Ausübung des Kontaktrechts kommen soll.

Das hier betroffene Kind, ein elfjähriges Mädchen, war jahrelang Leidtragende der zwischen ihren Eltern bestehenden Konfliktsituation. Der Vater war sowohl gegen die Mutter als auch gegen das Mädchen mehrfach gewalttätig geworden. Die Familie lebte jahrelang in Frankreich. Nach einer Inhaftierung des Vaters übersiedelten Mutter und Tochter nach Österreich, der Vater blieb in Frankreich. Er stieß gegenüber der Mutter mehrfach Drohungen aus, dass er ihr das Kind wegnehmen und dieses nach Rumänien verbringen wolle, beziehungsweise drohte er, jemanden zu schicken, der das Mädchen abholen würde.

Nach der Übersiedlung von Mutter und Tochter nach Österreich kam es im Mai 2019 zum vorläufig letzten Kontakt zwischen Vater und Tochter. Bei diesem (das Mädchen war damals neun Jahre alt) wurde der Vater sowohl gegenüber Mutter als auch Tochter extrem aggressiv, zornig sowie gewalttätig. Er stieß auch Drohungen gegen beide aus und wurde wegen dieser Vorfälle der Vergehen der Körperverletzung, der versuchten Nötigung und der gefährlichen Drohung schuldig befunden und zu einer fünfmonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Seit diesem Vorfall gab es zwischen Vater und Tochter keine Kontakte mehr. Das Mädchen verweigerte diese auch ausdrücklich.

Massive Gefährdung des Kindeswohls

Der Vater begehrte in weiterer Folge gerichtlich, ihm mindestens zehn begleitete Kontakte mit seiner Tochter im Ausmaß von je einer Stunde zu gewähren. Nach diesen Kontakten sollten die Besuchsbegleiter einen Bericht verfassen und sollte die Tochter neuerlich gefragt werden, ob sie den Kindesvater sehen will. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Ein Aufeinandertreffen des Vaters mit seiner Tochter stelle eine massive Gefährdung des Wohls der Minderjährigen dar. Darüber hinaus würde diese explizit ablehnen, ihren Vater zu sehen. Die zuständige Richterin hatte hierzu mit der Tochter telefoniert, und diese hatte ihr mitgeteilt, dass sie den Vater bis auf weiteres nicht sehen will.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der Erstrichterin und hielt in diesem Zusammenhang fest, dass es für die Beurteilung des Willens des Kindes ausschlaggebend sei, ob dieser autonom gebildet wurde oder Ergebnis von Beeinflussungen sei. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass das Mädchen aufgrund der Gewalttaten des Vaters diese Situation zu bewältigen habe und bei ihr ein Schutzmechanismus vor emotionaler Überforderung vorliege und dass diese Situation die Minderjährige klar überfordern würde. Es sei daher dem Kindeswohl aktuell nicht zuträglich, sie zu einem Kontakt mit ihrem Vater zu zwingen. Daran würden auch begleitete Kontakte nichts ändern, sie würden letztendlich zu Irritationen des Kindes führen, zudem würden auch diese Kontakte von der Minderjährigen ausdrücklich abgelehnt. Ein Kontakt der Minderjährigen zu ihrem Vater würde aktuell nicht dem Kindeswohl entsprechen.

Der Weigerung der Tochter, mit ihrem Vater Kontakt zu haben, kommt ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu.
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Der Vater wandte sich daraufhin mit einem Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof, welcher zu dem Ergebnis gelangte, dass dieser berechtigt sei und wurde das Verfahren an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen, um dort weitere Sachverhaltselemente festzustellen. Der Oberste Gerichtshof hält in diesem Zusammenhang fest, dass das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern ein allgemein anerkanntes Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung ist, das im Konfliktfall auch gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzustellen ist, wenn die nachteiligen Auswirkungen für das Kind jenes Maß überschreiten, das als Folge der Zerrüttung der Beziehung ganz allgemein in Kauf genommen werden muss.

Der Oberste Gerichtshof verkennt also nicht, dass jede zerbrochene Elternbeziehung negative Auswirkungen auf das betroffene Kind hat, diese müssen aber grundsätzlich in Kauf genommen werden und dürfen einen späteren Kontakt des Kindes zu einem der beiden Elternteile nicht beeinträchtigen. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Situation zwischen den Eltern und dem Kind konfliktgeladen sein mag. Solange die Ausübung des Kontaktrechtes das Kindeswohl nicht gefährdet, steht den Eltern das Recht auf persönlichen Verkehr zu. Kommt es aber – wie im hier gegenständlichen Fall – ganz klar zu einer Gefährdung des Kindeswohles, dies aufgrund extremer Gewalttaten des Vaters gegen das Kind, so muss das Grundrecht des Elternteils auf Ausübung seines Kontaktrechtes vorübergehend oder bis auf weiteres zurücktreten und ist hier im Sinne des Kindes das Kontaktrecht vorläufig zu untersagen.

Unbeeinflusste Willensbildung

Im vorliegenden Fall war auch die klar vom Mädchen geäußerte Meinung, ihren Vater nicht sehen zu wollen, ins Kalkül zu ziehen. Der Weigerung der Tochter, mit ihrem Vater Kontakt zu haben, kommt daher ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu. Inwieweit dem Vater unter Umständen doch ein eingeschränktes Kontaktrecht zuzugestehen sei, muss im fortgesetzten Verfahren geklärt werden. Im gegenständlichen Fall hatte das Mädchen im Alter von neun Jahren – wenige Monate nach dem Gewaltakt – zu Protokoll gegeben, dass sie ihren Vater auch im Rahmen eines Besuchscafés nicht sehen will. Sie hat diese Haltung auch bei einem Telefonat mit der Richterin etwa ein Jahr später bekräftigt.

Nach Meinung des Obersten Gerichtshofs kann im Zuge eines Telefonats aber nicht ausreichend festgestellt werden, ob der Wille des Mädchens unbeeinflusst war, und kann daher nicht festgestellt werden, inwieweit die Ausübung eines begleitenden Kontaktrechts bei der Minderjährigen zu einer Verfestigung ihrer ablehnenden Haltung führen würde und damit nicht bloß vorübergehende, ihrem Wohl abträgliche Auswirkungen hätte. Da grundsätzlich auch die beigezogene Familiengerichtshilfe begleitete Kontakte zwischen der Minderjährigen und dem Vater befürwortet, ist es nun die Aufgabe des Erstgerichts, sich im fortgesetzten Verfahren einen persönlichen Eindruck darüber zu verschaffen, ob die Ablehnung der Minderjährigen, ihren Vater zu sehen, auf einer unbeeinflussten Willensbildung beruht.

Diese Entscheidung zeigt einmal mehr die Bedeutung des Grundrechts auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern, wobei in jedem einzelnen Fall gesondert zu prüfen ist, ob eine Unterbindung der elterlichen Kontakte zulässig ist, weil diese allenfalls das Kindeswohl gefährden würden. Hierbei ist auch die Meinung des betroffenen Minderjährigen in die Beurteilung einzubeziehen, wobei es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs erforderlich ist, dass sich das Gericht vom Willen des Kindes einen persönlichen Eindruck verschafft. Das im gegenständlichen Fall geführte Telefonat wurde als nicht ausreichend erachtet (OGH vom 09.12.2021, 5 Ob 134/21y). (Julia Andras, 20.5.2022)