Die Revolution in der europäischen Bündnispolitik findet rund tausend Kilometer nördlich von hier statt. Man kann daher in Österreich ruhig so tun, als hätte die Entscheidung zum Nato-Beitritt der bisher bündnisfreien Staaten Finnland und Schweden keinerlei Bedeutung für die eigenen sicherheitspolitischen Debatten. Und tatsächlich schaut es nicht danach aus, als ob der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine etwas an der Liebe der Österreicher zur Neutralität und der Ablehnung einer Nato-Mitgliedschaft ändern wird.

Nachdem ÖVP-Chef Karl Nehammer in seiner Partei, die einst mit der Nato geliebäugelt hat, keine Debatte zulässt und selbst die Neos lieber über eine EU-Armee sprechen, die es noch lange nicht geben wird, ist auch vonseiten der Politik keine Bewegung zu erwarten. Der jüngste Appell aus der Zivilgesellschaft findet wenig Widerhall.

Österreich ist von Nato-Staaten umgeben und daher weit weg von jeder konventionellen Bedrohung.
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Ganz überraschend ist das nicht. Anders als Finnland teilt Österreich keine Landgrenze mit Russland, anders als Schweden auch keine Konfliktzonen auf See. Österreich ist von Nato-Staaten umgeben und daher weit weg von jeder konventionellen Bedrohung. Die Neutralität ist in Österreich noch stärker verankert als die Bündnisfreiheit in den beiden nordischen Staaten, und dank einer großzügigen Auslegung ihrer Bestimmungen kann die Regierung an allen EU-Initiativen in einem Umfang mitmachen, dass es nicht peinlich wird. Wir sind mit der Neutralität gut gefahren, warum also etwas ändern?

Allerdings: Durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens findet sich Österreich in einer Krisenzeit als sicherheitspolitischer Außenseiter in Europa wieder. Auch Irland bleibt neutral, ist aber dank seiner geografischen Randlage von den neuen Bedrohungen kaum betroffen. In der Schweiz ist die Neutralität mit einer sehr hohen Wehrbereitschaft und noch höheren Rüstungsausgaben abgesichert.

Sonderweg

Österreich hingegen steckt kaum Geld in die Verteidigung und verlässt sich daher implizit auf den Schutz jenes Bündnisses, zu dem es nicht gehören will. Zwar pflegt das Bundesheer einen intensiven Austausch mit der Nato, dennoch bildet das Land ein schwarzes Loch inmitten des Kontinents — als Heimat der militärischen Trittbrettfahrer.

Wer als Staat einen Sonderweg geht, braucht dafür gute Argumente. Die sind derzeit allerdings schwer zu finden.

Weder zwingt die Nato ihre Mitglieder zu militärischen Abenteuern, noch müsste das Verteidigungsbudget deutlich stärker steigen, als die Bundesregierung es ohnehin plant. Und innerhalb eines Bündnisses können solche Ausgaben viel effizienter eingesetzt werden. Auch die Wiener Initiativen zum Verbot von Atomwaffen können innerhalb der Nato fortgesetzt werden. Als internationaler Vermittler ist der Nato-Staat Norwegen viel erfolgreicher als Österreich.

Mangels konkreter militärischer Bedrohungen kann sich Österreich auch ohne die Beistandsverpflichtung im Nato-Artikel 5 relativ sicher fühlen. Aber im Notfall wäre eine solche Klausel mehr wert als jedes Waffensystem.

Eine ehrliche, faktenbasierte Debatte würde zu dem Schluss führen, dass uns die Neutralität nicht schützt und als Bündnis nur die Nato zur Verfügung steht. Da das allerdings höchst unpopulär ist, wird das Thema lieber unter den Teppich gekehrt. Der kurzfristige Schaden einer solchen Vogel-Strauß-Politik ist gering. Aber das macht sie nicht klüger. (Eric Frey, 17.5.2022)